Rn 2
Der Erblasser muss dem Pflichtteilsberechtigten (§ 2303 Rn 1) unmittelbar lebzeitig freigiebig etwas zugewendet, dh ihm unter Minderung des eigenen Vermögens freiwillig einen Vorteil verschafft haben (Ddorf FamRZ 94, 1491; Kobl ZEV 10, 473, 474; Gottwald Rz 4). Der Begriff der Zuwendung ist weiter als der der Schenkung; Bsp: Bezahlung von dessen Schulden, vollzogene Schenkungen, Schenkungsversprechen oder Ausstattungen nach § 1624 (MüKo/Lange Rz 5), bei gemischten Schenkungen oder solchen unter Auflagen der überschießende Wert. Auszuscheiden sind mittelbare Zuwendungen (Staud/Otte Rz 10) und Leistungen, zu denen der Erblasser verpflichtet war (RGZ 67, 306, 308), zB unterhaltsrechtlich geschuldete Pflegeleistungen (AG Mettmann DAVorm 84, 712, 713).
Rn 3
Der Erblasser muss eine Anrechnungsbestimmung, die sich auf den Pflichtteil bezieht, getroffen haben. Sie muss als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Ddorf FamRZ 94, 1491) dem Empfänger spätestens mit der Zuwendung zugehen (Kobl OLGR 06, 591 Rz 27). Sie kann bedingt sein und formlos, sogar konkludent (BGH NJW 10, 3023, 3024) bzw stillschweigend (Köln NJW-RR 08, 240, 241 [OLG Köln 28.11.2007 - 2 W 88/07]; München 6.2.19 – 20 U 2354/18 Rz 26), erfolgen, es sei denn, das Kausalgeschäft ist formbedürftig (BeckOKBGB/Müller Rz 7). Sie muss zum Bewusstsein des Empfängers gelangen (Ddorf aaO; Karlsr NJW-RR 90, 393; aA MüKo/Lange Rz 7; Müller aaO: Erkennbarkeit genüge). Inhaltlich muss der Erblasserwille erkennbar auf eine Kürzung des dem Empfänger am Restnachlass zustehenden Pflichtteilsrecht gerichtet sein (Kobl 15.6.20 – 12 U 1566/19), dh mit der Zuwendung zugleich auf eine Enterbung des Empfängers mit bloßer Pflichtteilsberechtigung zielen. Insoweit reicht, dass der Erblasser die Enterbungsabsicht bei Formulierung der Bestimmung in Betracht gezogen hat (BGH NJW 10, 3023, 3024; Brandbg 31.8.22 – 3 W 55/2). Dagegen liegt eine Ausgleichung gem §§ 2316 I, 2050 II oder kumulativ Anrechnung und Ausgleichung (§ 2316 IV) vor, wenn der Erblasser nur klarstellen wollte, dass der Empfänger lediglich zeitlich vorgezogen bedacht wird, es iÜ aber bei den rechtlichen Wirkungen einer Zuwendung im Erbfall verbleiben soll (so BGH aaO zur Formulierung: ›im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unentgeltlich‹). Kriterien sind ua die zeitlichen Zusammenhänge zwischen Zuwendung und Testamentserrichtung, der Gegenstand, sein Wert und seine wirtschaftliche Nutzbarkeit durch den Empfänger vor dem Erbfall, und die Vorstellungen des Erblassers über eine gleichmäßige Behandlung der Abkömmlinge (BGH aaO). Bei einer ›vorweggenommenen Erbfolge‹ liegt eher eine Ausgleichsanordnung nahe (BGH aaO m abl Anm Keim ZEV 10, 192f [BGH 27.01.2010 - IV ZR 91/09]).
Rn 4
Nachträgliche Anrechnungsbestimmungen sind ausgeschlossen, wenn sie sich der Erblasser nicht vorbehalten hat (Mayer ZEV 96, 441, 447) und nicht die Voraussetzungen der Pflichtteilsentziehung (§ 2333 ff) vorliegen (Kobl OLGR 06, 591; MüKo/Lange Rz 6). Nachträglich kann mit dem Empfänger in Form des § 2348 ein Pflichtteilsverzichtsvertrag vereinbart werden (RGZ 71, 133, 136f).