Gesetzestext
1Der Pflichtteilsberechtigte kann die Ergänzung des Pflichtteils auch dann verlangen, wenn ihm die Hälfte des gesetzlichen Erbteils hinterlassen ist. 2Ist dem Pflichtteilsberechtigten mehr als die Hälfte hinterlassen, so ist der Anspruch ausgeschlossen, soweit der Wert des mehr Hinterlassenen reicht.
A. Zweck.
Rn 1
Der (abstrakt) Pflichtteilsberechtigte hat keinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch nach §§ 2303, 2305, wenn ihm wenigstens die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis hinterlassen wurde. Sein selbstständiger Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 Rn 3) besteht uU gleichwohl (BGH NJW 73, 995 [BGH 21.03.1973 - IV ZR 157/71]), um den bezweckten Schutz des Berechtigten (§ 2325 Rn 1) vor lebzeitigen Schenkungen des Erblassers mit der Folge eines ggf entleerten Nachlasses zu ergänzen. Ob der Pflichtteilsberechtigte gewillkürter oder gesetzlicher Erbe ist, ist gleichgültig (RGZ 58, 124, 126). § 2326 gilt auch für den Alleinerben ggü dem Beschenkten (§ 2329 I 2).
B. Ergänzungsanspruch (S 1).
Rn 2
Ist das dem Berechtigten Hinterlassene (Erbe und Vermächtnis) geringer als der halbe gesetzliche Erbteil, hat er den Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 (bzw § 2307 I 2) und ggf den Ergänzungsanspruch (§ 2325). Ist der hinterlassene Erbteil beschwert oder beschränkt, kann der Erbe ihn ausgeschlagen und den ordentlichen (unbeschwerten) Pflichtteil (§ 2306 I) und Ergänzungspflichtteil (§ 2325) verlangen. Es ist dann entgegen dem Wortlaut des § 2326 2 das ausgeschlagene Hinterlassene nicht anzurechnen (Staud/Olshausen Rz 11). Demgegenüber vermindert ein ausgeschlagenes unbelastetes und unbeschränktes Vermächtnis nicht den Anrechnungsbetrag nach 2, so dass der Ergänzungspflichtteil nicht erhöht wird (MK/Lange Rz 5; Soergel/Dieckmann Rz 5; aA AK/Däubler Rz 6). Schlägt der Erbe nicht aus, bleiben Beschränkungen oder Beschwerungen des Hinterlassenen unberücksichtigt (Erman/Röthel/Simon Rz 5, 7; Staud/Olshausen Rz 13). Hat er die Erbschaft angenommen, weil er ergänzungspflichtige Schenkungen nicht kannte, kann er nach § 119 die Annahme anfechten, da er über die Zusammensetzung des fiktiven Nachlasses irrte (BeckOKBGB/Müller Rz 5; MüKo/Lange Rz 3, 4). Der Beginn der Ausschlagungsfrist ist aber nicht bis zur Kenntnis von der ergänzungspflichtigen Schenkung hinausgeschoben (MüKo/Lange Rz 3; aA Erman/Röthel/Simon Rz 5).
Rn 3
Der Maßstab des ›halben gesetzlichen Erbteils‹ ist grds wie bei § 2316 II als Erbquote zu verstehen (NK/Bock Rz 2; Staud/Olshausen Rz 10). Bei vorausgegangener Ausgleichung oder Anrechnung sollte aber der Wert maßgeblich sein (str, BeckOKBGB/Müller Rz 4; Grünewald/Weidlich Rz 3).
C. Kürzungen (S 2).
Rn 4
Der vAw zu berücksichtigende 2 will Doppelbegünstigungen vermeiden. Er ordnet an, dass dem Pflichtteilsberechtigten ein Ergänzungsanspruch nur insoweit zusteht, als dass der hinterlassene Erbteil den ordentlichen Pflichtteil zuzüglich Ergänzungspflicht unterschreitet (vgl BGH FamRZ 89, 273).
Rn 5
Berechnung: Ist das Hinterlassene im Fall des 2 unbelastet, wird der Ergänzungspflichtteil errechnet, indem zum Nachlass im Zeitpunkt des Erbfalls alle Schenkungen addiert, die Summe durch den halben gesetzlichen Erbteil des Berechtigten dividiert und vom Ergebnis der Wert des jeweils hinterlassenen Erbteils subtrahiert werden (Rn 7). Ist das Hinterlassene beschränkt oder beschwert, bleibt das unberücksichtigt (Rn 2). Bsp: Der Nachlass beträgt 20. Zu Erben zu je ½ sind das allein pflichtteilsberechtigte Kind (K1) und ein Familienfremder (F) eingesetzt. An einen Dritten (D) erfolgte eine lebzeitige Schenkung in Höhe von 40. K1 hat einen Anspruch gegen D auf 20: Nachlass und Geschenk betragen zusammen 60. Dividiert durch die Pflichtteilsquote ½ ergibt dieses 30. Hiervon ist der erlangte Erbteil von 10 (20 × ½) abzuziehen.
Rn 6
Abwandlung (vgl Schindler ZEV 05, 513, 514): Statt F existiert ein weiteres Kind (K2), das pflichtteilsberechtigt ist. K2 hat einen ausgleichungspflichtigen Vorempfang von 4 erhalten. Sein Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen D ist die Differenz zwischen Ausgleichungserbteil und dem Gesamtpflichtteil. Zur Berechnung des Ausgleichungserbteils werden Nachlass (20) und alle Vorempfänge (4) addiert (24), durch die Anzahl der Abkömmlinge (24/2 = 12) dividiert und davon die jeweils ausgleichungspflichtige Zuwendung (4) subtrahiert (12 – 4 = 8; vgl § 2316 Rn 4). Der Gesamtpflichtteil ist der Ausgleichungspflichtteil (4) als halber Ausgleichungserbteil zuzüglich des Ergänzungspflichtteils (10). Dieser errechnet sich durch Multiplikation der Pflichtteilsquote (¼) mit dem Wert des Geschenks (40). Die Differenz zwischen Ausgleichungserbteil (8) und Gesamtpflichtteil (14) beträgt 6. K1 steht schlechter: Sein Ausgleichungspflichtteil ist 6 ([24/2–0]/2), sein Ergänzungspflichtteil 10, so dass der Gesamtpflichtteil 16 beträgt. Bei einem Ausgleichungserbteil von 12 bleibt ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 4. Anders Kerscher/Kerscher (ZEV 05, 295 ff), die ihre Berechnung auf die Kritik Schindlers aber modifiziert haben (aaO 514).
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