Gesetzestext
Die Vorschriften der §§ 2325 bis 2329 finden keine Anwendung auf Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird.
Rn 1
Anstandsschenkungen sind insb kleinere Zuwendungen wie übliche Gelegenheitsgaben zu besonderen Tagen oder Anlässen (Weihnachten, Geburtstag, Taufe, Kommunion, Hochzeit) oder wie das Trinkgeld. Zur Einordnung, die nach objektiven Kriterien zu erfolgen hat, spielt die örtliche oder gesellschaftliche Verkehrssitte eine große Rolle (BGH NJW 81, 111 [BGH 19.09.1980 - V ZR 78/79]; 84, 2939, 2940 [BGH 07.03.1984 - IVa ZR 152/82]).
Rn 2
Auch Schenkungen von großem Wert (zB eine den Nachlass im Wesentlichen erschöpfende Schenkung) stehen der Anwendung des § 2330 nicht grds entgegen, wenn aufgrund einer sittlichen oder moralischen Pflicht geboten sind (BGH WM 78, 905; NJW 81, 2458, 2459 [BGH 27.05.1981 - IVa ZR 132/80]). Zur Auslegung des Rechtsbegriffs ›sittliche Pflicht‹ ist entscheidend, ob die Vornahme der Schenkung in einer solchen Weise geboten war, dass das Unterlassen der Schenkung dem Erblasser als Verletzung der für ihn bestehenden sittlichen Pflicht zur Last zu legen wäre (BGH NJW 84, 2939, 2940; 00, 3488; ZEV 96, 186, 188). Es kommt nicht auf Gründe für bloße Dankbarkeit, sondern wesentlich darauf an, ob Gesichtspunkte der Versorgung des Beschenkten, etwa eine Notlage infolge der für den Schenker erbrachten Leistungen, das Ausbleiben einer solchen Belohnung als sittlich anstößig erscheinen ließen (BGH NJW 86, 1026), es mithin der Anstand gebot, gerade so und nicht anders zu handeln (BGH NJW 81, 111 [BGH 19.09.1980 - V ZR 78/79]; Kobl ZEV 02, 460, 462 f [OLG Koblenz 17.10.2001 - 9 U 166/01]; Naumbg OLGR 00, 433). Einer sittlichen Pflicht kann entspr die Unterhaltszahlung für nahe Verwandte oder die Sicherung des Lebensunterhalts für den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (vgl RG LZ 1923, 448, 449; BGH NJW 83, 674 [BGH 10.11.1982 - IVa ZR 83/81]), uU auch die Zuwendung eines Grundstücks oder eines Nießbrauchs aus Dankbarkeit für unbezahlte langjährige Dienste im Haushalt oder für unentgeltliche Pflege und Versorgung (BGH NJW 78, 905; 84, 2939, 2940 [BGH 07.03.1984 - IVa ZR 152/82]; WM 77, 1410, 1411), unter besonderen Umständen belohnende Zuwendungen für Pflegeleistungen (BGH NJW 86, 1926 [BGH 09.04.1986 - IVa ZR 125/84]). Trotz des Grundsatzes der Testierfreiheit (Vor § 2303 Rn 2) besteht auch dem pflichtteilsberechtigten Kind ggü eine sittliche Pflicht, den Pflichtteil nicht durch rechtlich noch iRd Zulässigen bleibende Maßnahmen zu entwerten (BGH NJW 83, 2875; Kobl FamRZ 06, 1789). Schenkungen, die das gebotene Maß übersteigen, sind hinsichtlich des Übermaßes ergänzungspflichtig (BGH ZEV 06, 265, 268; NJW 81, 2459 [BGH 27.05.1981 - IVa ZR 132/80]; WM 78, 905; BB 67, 312).
Rn 3
Die Auskunftspflicht (§ 2314) gilt auch hier (BGH NJW 62, 245 [BGH 18.10.1961 - V ZR 192/60]). Wer Ergänzung verlangt, hat die Schenkung zu beweisen. Der Beschenkte muss beweisen, dass eine Anstands- oder Pflichtschenkung vorliegt (RG LZ 1918, 1076).