Gesetzestext
(1) 1Verwandte sowie der Ehegatte des Erblassers können durch Vertrag mit dem Erblasser auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten. 2Der Verzichtende ist von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen, wie wenn er zur Zeit des Erbfalls nicht mehr lebte; er hat kein Pflichtteilsrecht.
(2) Der Verzicht kann auf das Pflichtteilsrecht beschränkt werden.
A. Zweck.
Rn 1
Der Erb- und insb der Pflichtteilsverzicht eröffnen dem Erblasser ein Stück weiterer Testierfreiheit (BGH NJW-RR 91, 1610; vgl § 2303 Rn 2) und die Möglichkeit, zu Lebzeiten durch Vertrag mit dem Verzichtenden die Erbfolge und Nachlassverteilung an die individuellen Verhältnisse anzupassen. Praktisch relevant sind insb Regelungen der Vermögensnachfolge zu Lebzeiten, der Ausschluss des Ehegatten bzw Lebenspartners iSv § 1 LPartG von der Erbfolge, die Abfindung nichtehelicher oder erstehelicher Kinder sowie Regelungen zur Sicherung des Unternehmensfortbestands (Staud/Schotten Einl zu §§ 2346 ff Rz 3). Der Verzicht ist zudem bedeutend, wenn der Erblasser eine Enterbung oder einen Widerruf einer letztwilligen Zuwendung (zB wegen Geschäftsunfähigkeit, vgl § 2347) nicht aussprechen kann. Der Verzicht lässt sich auf den Pflichtteil (II) oder ein Vermächtnis bzw eine letztwillige Zuwendung (§ 2352) beschränken. Zur schuldrechtlichen Verpflichtung ggü dem Erben auszuschlagen s § 2302. Grenzen: Der Verzicht unterliegt einer Inhaltskontrolle (MüKo/Wegerhoff Rz 35–38). Dabei sind in einer Gesamtschau alle objektiven und subjektiven individuellen Verhältnisse zu berücksichtigen. Die Wirksamkeit eines Verzichts ist insb nach dem Maßstab der §§ 134, 138 (s zB Hamm NJW 17, 576 [OLG Hamm 08.11.2016 - 10 U 36/15] Rz 23; Ddorf 21.2.13 – I-3 Wx 193/12; München NotBZ 06, 325 f [OLG München 25.01.2006 - 15 U 4751/04]; LG Ravensburg ZEV 08, 598, 599 [LG Ravensburg 31.01.2008 - 2 O 338/07] m Anm Münch aaO, 571; LG Nürnberg-Fürth 23.3.18 – 6 O 6494/17; einschr Celle 18.9.23 – 7 W 17/23 (L) Rz 31: ›angesichts des Risikocharakters … äußerste Zurückhaltung geboten‹; BeckOKBGB/Litzenburger Rz 25; MüKo/Wegerhoff Rz 35c), seine Geltendmachung am Maßstab des § 242 zu beurteilen (Bengel ZEV 06, 192 ff; Kuchinke FPR 06, 125, 126 ff). Zur Form s § 2348; zur Feststellung des Verzichtswillens BGH FamRZ 19, 301: zum Pflichtteilsverzicht; zum Geschäftswert für die Beurkundung eines Pflichtteilsverzichtsvertrags BGH ZEV 23, 828 [BGH 11.10.2023 - IV ZB 26/22] Rz 8 ff). Lit.: Kroiß ErbR 19, 466.
B. Rechtsnatur.
Rn 2
Der Erb- und Pflichtteilsverzicht ist ein abstrakter erbrechtlicher Verfügungsvertrag (BGH NJW 57, 1187, 1188; Staud/Schotten Einl zu §§ 2346 ff Rz 15). Damit der künftige Erblasser über die Verteilung seines Vermögens mitentscheiden kann, ist der Verzicht als Vertrag und nicht als einseitige Willenserklärung konzipiert. Der Erbverzicht ist erbrechtlich (BayObLG FamRZ 95, 964, 965), denn in ihm verfügt der Verzichtende mit unmittelbarer Wirkung über seine Rechtsposition in der Weise, dass er nicht Erbe, Vermächtnisnehmer oder Zuwendungsempfänger wird (MüKo/Wegerhoff Rz 2). Er wird behandelt, als hätte er zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt (I 2). Die Wirkungen des Erbverzichts als abstraktes Rechtsgeschäft (BGH NJW 62, 1910, 1912 [BGH 04.07.1962 - V ZR 14/61]) treten unabhängig von einem ihm zu Grunde liegenden Kausalverhältnis (Rn 12 ff) ein (BayObLG ZEV 06, 209, 210; BeckOKBGB/Litzenburger Rz 2; Soergel/Damrau Rz 1). Er ist kein gegenseitiger Vertrag iSd §§ 320 ff (BayObLG FamRZ 95, 964, 965). Er ist, wenn er unentgeltlich erfolgt, keine Schenkung iSd BGB, so dass Anfechtung nach § 129 ff InsO ausscheidet (MüKo/Wegerhoff Rz 5). Der Erbverzicht ist ferner ein Rechtsgeschäft unter Lebenden auf den Todesfall, keine Verfügung vTw (BayObLGZ 81, 30, 34), so dass grds die Vorschriften des Allgemeinen Teils gelten. Daher erfolgt die Auslegung nach §§ 133, 157 (BayObLG Rpfleger 84, 191; Sonderbestimmung: § 2350), die Behandlung von Willensmängeln gem §§ 116 ff, die Anfechtung gem §§ 119 ff (Rn 15) und wird die Teilnichtigkeit nach § 139 beurteilt (BGH NJW 08, 298, 299 zur Frage, ob bei Unwirksamkeit eines Gesamtverzichts zumindest ein isolierter Pflichtteilsverzicht gewollt war). Nach dem Eintritt des Erbfalls kann ein Erbverzicht nicht mehr erfolgen (Kobl FamRZ 93, 1498; Schlesw NJW-RR 97, 1092, 1093).
C. Persönliche Voraussetzungen.
Rn 3
Nur Verwandte des Erblassers oder sein Ehegatte (bzw Lebenspartner, § 10 VII LPartG) können (persönlich: § 2347) auf ihr gesetzliches Erb- und/oder Pflichtteilsrecht verzichten. Nicht erforderlich ist, dass der Verzichtende schon bei Vertragsschluss pflichtteilsberechtigt oder nächstberufener Erbe ist; er kann schon vor einer Eheschließung (zum Verlobten bzw zum Versprechenden iSd § 1 III LPartG vgl § 2347) oder Adoption auf das erst entstehende Erbrecht verzichten (Hamm Rpfleger 52, 89). Beschränkungen güterrechtlicher Art (vgl § 1365) sowie die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens stehen einem Verzicht nicht entgegen. Insoweit ist auch keine Zustimmung des Ehegatten bzw Insolvenzverwalters (s § 83 I InsO) nötig ...