Rn 19
Den Beteiligten ist rechtliches Gehör zu gewähren. Art 103 I GG als Grundrecht des gerichtlichen Verfahrens und der Grds des fairen Verfahrens (BVerfGE 101, 397, 408 ff [BVerfG 18.01.2000 - 1 BvR 321/96]: vor dem Rpfl gelte nicht Art 103 I GG, aber der Grds des fairen Verfahrens; dazu abl die hL) gilt auch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit (BVerfG FamRZ 87, 786; NJW 94, 1053; 95, 2095). Art 103 GG verlangt, dass alle formell oder materiell Beteiligten vom Verfahren in zumutbarer Form in Kenntnis gesetzt, über den relevanten Verfahrensstoff vollständig informiert werden (ggf durch Akteneinsicht, vgl BayObLG FamRZ 98, 1625) und sich zu für sie nachteiligen Tatsachen oder Beweisergebnissen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern (zB durch Anträge, vgl BVerfG NJW 03, 1924 [BVerfG 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02]) können (BVerfG NJW 82, 1759 [BGH 23.03.1982 - KZR 28/80]; 83, 2762). Eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, darf grds nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse (zB Urkunden, Protokolle, Sachverständigengutachten [dazu BGH FamRZ 11, 1574, 1575]) gestützt werden, zu denen sich der Beteiligte äußern konnte (§ 37 II FamFG). Das Gericht darf nicht ohne Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellen oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellen, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG NJW 03, 2524; BGH FamRZ 05, 700, 701). Die Beteiligten werden dadurch vor überraschenden Entscheidungen geschützt. Ihre Ausführungen hat das Gericht vor seiner Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen und, sind sie zulässig und erheblich, in Erwägung zu ziehen (BVerfG NJW 00, 1480, 1483; BayObLG FamRZ 00, 1458). Die Art der Anhörung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Nicht verpflichtet ist das Gericht zu einem sog Rechtsgespräch (BVerfG NJW 96, 3202) oder zur Mitteilung, wie es die Sache rechtlich würdigen wolle (BayObLG FamRZ 89, 425), solange es keine Überraschungsentscheidung fällt. Zweckmäßiger Weise erfolgt die Benachrichtigung, indem das Gericht eine Abschrift des verfahrenseinleitenden Antrags übersendet. Die Verletzung der Anhörungspflicht allein rechtfertigt nicht die Einziehung (§ 2361) des Erbscheins (BGH NJW 63, 1972 [BGH 05.07.1963 - V ZB 7/63]). Die Gewähr des Gehörs kann in Rechtsfragen im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden, im Bereich des Tatsächlichen aber nicht mehr in der Rechtsbeschwerdeinstanz. § 44 I Nr 2, II FamFG eröffnet die Anhörungsrüge binnen 2 Wochen nach Kenntnis der Verletzung; qualifizierter Vortrag ist geboten (§ 44 II 4 FamFG).
Rn 20
Auch die dem Gericht bekannten ›Kann-Beteiligten‹ nach § 345 I 2 FamFG (Rn 21) sind, ua damit sie ihr Antragsrecht nach § 345 I 3 FamFG ausüben können, nach § 7 IV FamFG von dem Verfahren zu unterrichten (zB durch Übersendung einer Kopie des Antrags, § 23 II FamFG) und über ihr Antragsrecht zu belehren. Im Einzelfall kann es – über den Wortlaut des G hinaus – zur Ermöglichung des rechtlichen Gehörs geboten sein, dass das Gericht vAw noch unbekannte Kann-Beteiligte ermittelt (Köln FGPrax 09, 287, 289 [OLG Köln 02.11.2009 - 2 Wx 88/09]; einschr Musielak/Borth § 7 Rz 6). Mögliche, Erfolg versprechende und (auch zeitlich) angemessene Ermittlungsmaßnahmen muss es ergreifen (zB Anfrage beim Einwohnermeldeamt oder beim Standesamt). Die Benachrichtigung darf unterbleiben, wenn sie untunlich iSd § 2360 III aF ist, zB wenn sie unmöglich erscheint oder unverhältnismäßig ist. Dass Personen, die als Erbe in Betracht kommen, weit entfernt wohnen oder schwierig zu ermitteln sind, macht ihre Anhörung grds nicht untunlich (BayObLG FamRZ 99, 1471, 1472). Bei der iRd Verhältnismäßigkeitsprüfung ggf notwendigen Interessenabwägung ist aber auch das Recht des Antragstellers auf Entscheidung mit einzubeziehen, so dass bei klarer Rechtslage im Einzelfall sein Interesse dem auf Benachrichtigung solcher Beteiligten, deren Ermittlung die Entscheidung ganz erheblich verzögerte, überwiegt. Ggf kann das Gericht gem § 27 FamFG den zur Verfahrensförderung verpflichteten Antragsteller aufgeben, Informationen beizubringen. Stellen die Kann-Beteiligten trotz Benachrichtigung keinen Antrag nach § 345 I 3 FamFG, ist ihre weitere Anhörung entbehrlich, dh es bestehen weitere Pflichten nur ggü den formell Beteiligten.