I. Schuldverhältnis im engeren und im weiteren Sinne.
Rn 3
§ 241 definiert den Begriff des Schuldverhältnisses nicht, sondern beschreibt lediglich die Pflichten der Parteien als Wirkungen von Schuldverhältnissen. Die genaue Wortbedeutung bleibt jedoch unklar. Das entspricht der Mehrdeutigkeit, mit welcher der Begriff Schuldverhältnis auch sonst im Gesetz Verwendung gefunden hat: In einigen Vorschriften (etwa §§ 362, 364, 397) ist die einzelne rechtliche Forderungsbeziehung, die Obligation, angesprochen; man spricht insoweit vom Schuldverhältnis im engeren Sinne. Andere Bestimmungen (etwa §§ 280 I 1, 311 I, 425 I) verstehen unter Schuldverhältnis die gesamte Rechtsbeziehung zwischen den Parteien, das sog Schuldverhältnis iwS.
Rn 4
Die Bedeutungsvariante ›ieS‹ entspringt dem Versuch, das Wort Obligation durch eine deutschsprachige Formel zu ersetzen (Staud/Olzen [2015] § 241 Rz 4). Dementspr wird sie herkömmlich mit der einzelnen Leistungsbeziehung gleichgesetzt, also der Kombination aus dem Forderungsrecht des Gläubigers (Anspruch, § 194 I) und der entspr Leistungspflicht des Schuldners. Dabei ist freilich zu beachten, dass die Begriffe Obligation und Schuldverhältnis im engeren Sinne in ein Pflichtelement und ein Durchsetzungselement zerfallen, welche nach der Schuldrechtsreform auch getrennt gedacht werden müssen (s.o. Rn 2). Der Begriff des Schuldverhältnisses im engeren Sinne verweist also auf die überholte Engführung von Pflicht und Erfüllungsanspruch in der Konzeption der Obligation und sollte daher aufgegeben werden (das schlösse eine Änderung von § 362 ein: MüKo/Bachmann § 241 Rz 4).
Rn 5
Hinter der Formel vom Schuldverhältnis ›iwS‹ steht die Vorstellung, dass eine Gesamtheit von Rechtsbeziehungen zwischen Parteien durch einen Begriff beschrieben und zusammenfassend bezeichnet werden kann. Dieses, anderen Rechtsordnungen nicht immer leicht vermittelbare, Verständnis entspricht dem Bild vom Schuldverhältnis als ›Organismus‹ (Sieber) oder ›sinnhaftes Gefüge‹ (Larenz). Das Schuldverhältnis iwS ist die Basis der Pflichten der Parteien und der bei ihrer Verletzung eingreifenden Rechtsbehelfe. Mit einem solchen Schuldverhältnis sind nicht notwendig Erfüllungsansprüche iSv § 241 I 1 verbunden (zu Unrecht krit NK/Krebs § 241 Rz 9).
Rn 6
Auch die Wortbedeutung in § 241 ist nicht vollständig geklärt: Zwar entspr es der allg Meinung, dass § 241 I 1 von einem Schuldverhältnis im engeren Sinne handelt (etwa Jauernig/Mansel § 241 Rz 2). Allerdings ist zu beachten, dass damit nach der Schuldrechtsreform sowohl der Pflichtentyp ›Leistungspflicht‹ als auch der Rechtsbehelf Erfüllungsanspruch angesprochen sind (s.o. Rn 2). Für § 241 II ist die Einordnung hingegen umstr. Richtigerweise ist hier vom Schuldverhältnis iwS die Rede (insbes Schapp JZ 01, 583, 584; ders JA 02, 939, 941 ff). Wie bereits die Verweise in §§ 282, 311 II, III und 324 zeigen, geht es in der Bestimmung um die Vertypung bestimmter Pflichten und nicht um die Beschreibung eines Schutzpflichtverhältnisses.
II. Gläubiger und Schuldner.
Rn 7
Die Begriffe Gläubiger und Schuldner werden in § 241 I 1 zwar nicht ausdrücklich definiert, jedoch implizit näher bestimmt, indem der Gläubiger als der Berechtigte der betreffenden Pflicht und der zugehörigen Forderung, also des Erfüllungsanspruchs, angesprochen und zugleich der Schuldner zum Adressaten von Pflicht und Forderung erklärt wird. Auch auf diese Begriffe schlägt also der in der Vorschrift enthaltene Dualismus von Pflicht und Erfüllungsanspruch durch, wobei die Worte Gläubiger und Schuldner – im Gegensatz zu Verpflichteter und Berechtigter – wiederum der überkommenen Konzeption entstammen.
Rn 8
§ 241 I 1 verdeutlicht zudem das Erfordernis zweier unterschiedlicher Rechtsträger sowohl für die Pflicht als auch für den darauf basierenden Erfüllungsanspruch (RGZ 148, 65, 67; NK/Krebs § 241 Rz 7). Fällt etwa eine der Parteien ersatzlos weg, dh ohne dass es einen Rechtsnachfolger gibt, erlischt die Pflicht und mit ihr der Erfüllungsanspruch (RGZ 148, 65, 67 [hoheitliche Auflösung eines kommunistischen Vereins]). An zwei unterschiedlichen Rechtsträgern fehlt es auch im Falle der Konfusion, so dass die Pflicht und mit ihr der Erfüllungsanspruch erlischt, wenn sich die Positionen von Gläubiger und Schuldner in einer Person vereinigen (NK/Krebs § 241 Rz 7).