Rn 29
Das Schuldrecht ist in seinen Regeln ganz überwiegend auf die Erbringung und den Austausch von Leistungen zugeschnitten, welche in einem einmaligen und kurzfristigen Vorgang erbracht werden; der Kauf ist das Paradigma des allg Schuldrechts. Charakteristisch für Dauerschuldverhältnisse ist hingegen, dass sie über einen gewissen Zeitraum hinweg bestehen und dauernde oder fortlaufend neu entstehende Leistungs- und Schutzpflichten umfassen. Typischerweise hängt zudem der jeweilige Leistungsumfang von der zeitlichen Dauer des Schuldverhältnisses ab. Zur Abgrenzung iE s § 314 Rn 4–6.
Rn 30
Die Regeln für Dauerschuldverhältnisse weichen in mehrfacher Hinsicht von den ›gewöhnlichen‹ Regeln des allg Schuldrechts ab: Während das Pflichtenprogramm zu Beginn der Durchführung weitgehend demjenigen eines punktuellen Austauschvertrags entspricht – etwa Überlassung der Mietsache gegen Zahlung der ersten Miete –, ist es im weiteren Verlauf der Vertragserfüllung durch die Dauerhaftigkeit des Schuldverhältnisses gekennzeichnet. Typisch sind zudem Mechanismen für die Anpassung des Pflichtenprogramms an veränderte Umstände; § 313 enthält insoweit nur die allg Regel (s § 313 Rn 4, 25, § 314 Rn 18). Anders als beim punktuellen Austausch stellt sich zudem die Frage nach einer ordentlichen Beendigung anders als durch Erfüllung:
Dauerschuldverhältnisse enden entweder durch Zeitablauf oder durch Kündigung. Im unbefristeten Dauerschuldverhältnis gehört die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung zu den Naturalia des Vertrages und ist daher auch ohne gesonderte Vereinbarung möglich (BGH NJW 08, 1064 [BGH 17.01.2008 - III ZR 74/07] Rz 23); sie ist insoweit kein Rechtsbehelf wegen Leistungsstörung, kann jedoch im Einzelfall dieselbe Funktion erfüllen. Besondere Bedeutung haben zudem nachlaufende Vertragspflichten, welche die Vertragsbeendigung überdauern oder durch diese ausgelöst werden (etwa Rückgabe der Mietsache oder nachvertragliche Wettbewerbsverbote; vgl KG NStZ-RR 08, 373, 375 [KG Berlin 28.05.2008 - (2/5) 1 Ss 375/06 (58/06)]).
Rn 31
Besondere Regeln gelten zudem für die Rechtsbehelfe bei Pflichtverletzungen einer Seite. Wegen der Abhängigkeit der Leistungen von der Zeit können diese – über § 275 hinaus – zur Nichtnachholbarkeit der Leistung und damit zum Ausschluss des Erfüllungsanspruchs führen (vgl §§ 537, 615 1 aE). Ist das Dauerschuldverhältnis in Vollzug gesetzt, kommt grds ein Rücktritt nicht mehr in Betracht; einschlägig sind vielmehr die Regelungen über die Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314; zu weiteren Vorschriften § 314 Rn 17), welche den Vertrag – auch funktional, vgl § 346 ff (s § 346 Rn 3) – ex nunc beenden. Derselbe Gedanke liegt Beschränkungen der Rückabwicklung bei Anfechtung, Unwirksamkeit oder Nichtigkeit von Dauerschuldverhältnissen zugrunde (s § 812 Rn 36; Grüneberg/Sprau § 812 Rz 81f). Aus den Abweichungen bei der außerordentlichen Vertragsbeendigung ergeben sich ferner Besonderheiten hinsichtlich des Schadensersatzes im Kündigungsfall, dem sog Kündigungsschaden (§ 314 Rn 21 f). Diese schlagen sich insbes bei den Regeln über den Schadensersatz statt der ganzen Leistung, §§ 281 I 2, 3, V, 282, 283 S 2, nieder (s § 281 Rn 35).