Rn 32
Die Gefälligkeit ist keine kohärente rechtliche Kategorie. Sie umfasst nach herkömmlicher Auffassung einerseits vertragliche Schuldverhältnisse, welche unentgeltliche Leistungen zum Gegenstand haben (§§ 598, 662, 690). Alternativ dazu soll ein ›Gefälligkeitsverhältnis‹ vorliegen können, welchem die Qualität als Rechtsverhältnis abgesprochen wird (Jauernig/Mansel § 241 Rz 23). Ob und inwieweit aus einem solchen Gefälligkeitsverhältnis über die Maßstäbe von § 823 hinaus gesteigerte Anforderungen an den Rechtsgüterschutz durch die Beteiligten zu stellen sind, wird abstrakt nicht einheitlich beantwortet; die Rspr ist insoweit unüberschaubar. Als zentrales Abgrenzungskriterium zwischen Gefälligkeitsverhältnis und Schuldverhältnis gilt der aus den Erklärungen und den sonstigen Umständen zu ermittelnde Rechtsbindungswille (Grüneberg/Grüneberg vor § 241 Rz 7). Tatsächlich geht es bei dieser klassischen Unterscheidung um zwei voneinander zu trennende Sachfragen, nämlich diejenige nach dem Entstehen von (›Leistungs-‹) Pflichten, welche sich nur aus einer rechtsgeschäftlichen Bindung ergeben können und diejenige nach dem Maß der Verantwortung für die Rechtsgüter des anderen Teils. Spätestens nach der Einführung von § 311 II differieren die Kriterien, nach welchen diese beiden Sachfragen zu entscheiden sind.
Rn 33
Die Frage, ob ein Teil dem anderen ggü zur Erbringung einer (unentgeltlichen) Leistung verpflichtet ist, richtet sich nach dem Rechtsbindungswillen. Dabei muss es nicht nur um Leistungen des Gefälligen gehen, vielmehr entscheidet der Rechtsbindungswille auch über evtl Ansprüche des Begünstigten (BGH NJW 92, 498 [Aufwendungsersatz wegen Totalschaden am Kfz bei Gefälligkeitsfahrt]). Soweit sich der Rechtsbindungswille nicht unmittelbar aus den Erklärungen der Parteien ergibt, ist nach ihm unter Heranziehung der allg Auslegungsregeln zu fragen. Typischerweise sind dabei Art und Zweck der Gefälligkeit sowie die Interessenlage der Beteiligten zu berücksichtigen (BGHZ 21, 102, 107; BGHZ 92, 164, 168). Für die Annahme eines Rechtsbindungswillens spricht dabei insbes ein eigenes wirtschaftliches oder rechtliches Interesse des Gefälligen (RGZ 65, 17, 19; BGHZ 88, 373, 382; BGH NJW-RR 11, 1578 Rz 4). Dasselbe gilt, wenn der Begünstigte sich erkennbar auf eine Zusage verlässt und für ihn erhebliche Werte auf dem Spiel stehen (BGHZ 56, 204, 210). Die praktische Bedeutung dieser Abgrenzungskriterien ist auf Dienstleistungen und Gebrauchsüberlassungen (BGH NJW-RR 11, 1578 [BGH 15.07.2011 - V ZR 21/11]) beschränkt: bei der unentgeltlichen Eigentumsübertragung ergibt sich der Rechtsbindungswille nämlich bereits aus der Einhaltung der Form nach § 518 I 1 oder der – durch Rechtsgeschäft erfolgenden – Übertragung des Schenkungsgegenstandes. Das gilt freilich nicht für vertraglich begründete Verschärfungen des Haftungsmaßstabes: so kommt es ohne Rechtsbindungswillen etwa nicht zur verschuldensunabhängigen Haftung des ›Entleihers‹ wegen unberechtigter Drittüberlassung der entliehenen Sache (BGH NJW 10, 3087 [BGH 04.08.2010 - XII ZR 118/08]).
Rn 34
Für die Frage einer Begründung außerdeliktischer Schutzpflichten gelten hingegen andere Maßstäbe: Entscheidend sind hier die Kriterien, welche das Entstehen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses nach § 311 II beherrschen (vgl Kobl NJW-RR 07, 1613 [BGH 26.07.2007 - VII ZR 262/05]; NK/Krebs § 241 Rz 12f). Praktische Spitze dieser Entscheidung ist heute die durch die Anwendbarkeit von §§ 280 I 2, 278 eintretende Haftungsverschärfung. Eine Berufung auf eigenübliche Sorgfalt, etwa nach §§ 1359, 1664 kommt nicht in Betracht, da diese Vorschriften im Straßenverkehr keine Anwendung finden, s § 1359 Rn 5, § 1664 Rn 8. S generell zum Haftungsmaßstab bei Gefälligkeiten und anderen unentgeltlichen Leistungen § 276 Rn 19 ff. Die Entstehung von Schutzpflichten unter § 311 II setzt jedoch – selbstverständlich – keinen Vertragsschluss und damit keinen Rechtsbindungswillen voraus (§ 311 Rn 36 ff) und steht damit auch nicht zur einseitigen Disposition des Schutzpflichtigen (NK/Krebs § 241 Rz 13); Schutzpflichten können auch ggü Dritten in Leistungsnähe zur Gefälligkeit entstehen (Kobl BeckRS 14, 08625). Gemeinschaftlich können die Parteien sich jedoch gegen eine über § 823 hinausgehende Verrechtlichung ihres Verhältnisses entscheiden und damit das Entstehen eines Schuldverhältnisses nach § 311 II ausschließen. Letztlich begründet die Anwendbarkeit der Regeln über vorvertragliche Schuldverhältnisse daher eine Umkehr des Regel-Ausnahmeverhältnisses: während Pflichten zur Erbringung einer Leistung den Rechtsbindungswillen voraussetzen, ist bei Pflichten iSv §§ 311 II, III, 241 II der Wille zur Bindung entbehrlich.