Rn 62
Der Verwirkung unterliegen grds sämtliche Rechte, Rechtsstellungen und Befugnisse. Sie findet im gesamten Bereich des Privatrechts als allg Regel Anwendung und zwar einschl des Familienrechts (BGH FamRZ 02, 1698 ff), des Erbrechts (München FamRZ 05, 1120; vgl BVerfG NJW 07, 1043), der gewerblichen Schutzrechte (BGH GRUR 01, 1161, 1163; Kobl GRUR-RR 06, 184; BGH NJW 14, 1888 [BGH 06.02.2014 - I ZR 86/12]), wobei ggf das unionsrechtliche Verbot des Rechtsmissbrauchs (s Rn 3) zu konkretisieren ist, und des Arbeitsrechts (BAG BB 88, 978), ferner im Öffentlichen Recht (BVerwGE 6, 204, 205; 44, 339, 343) einschl des Sozialrechts (BSG BeckRS 13, 69329 Rz 9 f; BSG BeckRS 14, 71984 Rz 19 ff) und der Prozessrechte (BGHZ 97, 212, 220 f; BAG NZA 07, 396; BAG EBE/BAG 10, 139; BVerwG BeckRS 19, 18312). An die Verwirkung dinglicher Rechte und der sie begleitenden Ansprüche sind wegen der enteignenden Wirkung besonders hohe Anforderungen zu stellen; das entspricht auch der Wertung von §§ 900, 902 (s BGH NJW 07, 2183 f [BGH 16.03.2007 - V ZR 190/06] Rz 8 ff [›schlechthin unerträglich‹]). Die Verwirkung ergänzt bestehende Verjährungs- und Ausschlussfristen und wird durch diese nicht verdrängt. Da der Verwirkungseinwand jedoch nicht zur Aushöhlung dieser Fristen führen darf, muss er auf Ausnahmefälle beschränkt sein (BGH NJW-RR 92, 1240, 1241 [BGH 26.05.1992 - VI ZR 230/91]; BSG BeckRS 20, 8219 Rz 10). Die Verkürzung der regelmäßigen Verjährungsfrist auf drei Jahre hat den Anwendungsbereich der Verwirkung daher erheblich verkleinert (BGH NJW 07, 1273, 1275 [BGH 22.11.2006 - XII ZR 152/04]; Grüneberg/Grüneberg § 242 Rz 93), die ›nur unter ganz besonderen Umständen angenommen werden‹ kann (BGH NJW 14, 1230 [BGH 23.01.2014 - VII ZR 177/13] Rz 13).
Rn 63
Gelegentlich finden sich auch gesetzliche Sondervorschriften zur Verwirkung, deren Voraussetzungen kraft Spezialität an die Stelle der allg Verwirkungsregeln treten, vgl § 21 MarkenG, §§ 314 III, 626 II, 27 VersAusglG (BGH FamRZ 07, 997, 1000 [zu § 1587c aF]); das gilt jedoch nicht für § 1585b II, III (BGH NJW 07, 1273, 1275) und § 613a VI (BAG NZA 07, 793, 797 [BAG 15.02.2007 - 8 AZR 431/06]; NZA 18, 854). Besonders im Arbeitsrecht finden sich auch Verwirkungsausschlüsse; dies gilt etwa für § 4 IV 2 TVG (ausdrücklicher Verwirkungsausschluss, der freilich nicht für einzelvertraglich begründete Ansprüche gilt, BAG NZA 07, 690, 691 [BAG 14.02.2007 - 10 AZR 35/06]), für § 77 IV 3 BetrVG (Arbeitnehmerrechte aus Betriebsvereinbarungen) sowie für Unterlassungsansprüche nach §§ 1, 2 UKlaG (BGH NJW 95, 1488 [zu § 13 AGBG aF]). Dasselbe nimmt das BAG für die elementaren Rechte des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis, etwa für den Lohnanspruch, den gesetzlichen Urlaubsanspruch oder für Versorgungsbezüge an (BAG NJW 55, 157, 159 [BAG 23.09.1954 - 2 AZR 31/53]; BAG BB 58, 117; BAG DB 70, 787, 788), jedoch nicht für die Nichteinhaltung einer Kündigungsfrist (BAG NJW 06, 2284, 2287 [BAG 15.12.2005 - 2 AZR 148/05]; vgl § 4 KSchG) sowie für den Widerspruch gegen den Betriebsübergang nach § 613a (BAG NZA 09, 1149 [BAG 02.04.2009 - 8 AZR 262/07] Rz 15 ff; bedenklich, da ohne Prüfung der EU-Richtlinie). Das gleiche galt für die Berufung des Arbeitnehmers darauf, überhaupt zu einem Unternehmen in einem Arbeitsverhältnis zu stehen (BAG AP Nr 4 zu § 13 AÜG); hier deutet sich aber ein Wandel hin zu einem Verwirkungsausschluss an (im Ergebnis noch offen gelassen BAG NZA 16, 951 [BAG 24.02.2016 - 7 AZR 182/14] Rz 22).