Rn 27
Der Grundsatz von Treu und Glauben entfaltet zudem begrenzende Wirkungen für die sich aus dem Rechtsverhältnis oder der Rechtsordnung ergebenden Rechtspositionen der Parteien (auch: Schrankenfunktion). Diese – gelegentlich auch bei § 826 verortete (s § 826 Rn 2) – Funktion findet im Wortlaut von § 242 zwar keine Stütze, sie ist jedoch nach dem Vorbild von Art 2 SchwZGB heute allg anerkannt (BVerwG 13, 55000 Rz 18). Umstr ist hingegen, ob diese Funktion den betreffenden Rechtspositionen von vornherein immanent ist (sog Innentheorie), oder ob sie als gegenläufiger, außerhalb der jeweiligen Rechtsposition angesiedelter Widerpart eingeordnet werden muss (sog Außentheorie; s.u. Rn 33).
Rn 28
In den Bereich der begrenzenden Wirkung von Treu und Glauben fallen va die verschiedenen überkommenen Rechtsinstitute und Argumentationsformen, welche sich unter der Bezeichnung unzulässige Rechtsausübung und Rechtsmissbrauch zusammenfassen lassen (s.u. Rn 41–60). Außerdem zählt die Verwirkung hierher (s.u. Rn 61–67). Schließlich sind auch die auf § 242 gestützte Inhaltskontrolle von Verträgen, soweit sie neben §§ 305 ff Anwendung findet (BGH NJW 08, 890 [nicht neben § 307]; für einen Altfall BGH NJW-RR 13, 1028 [BGH 01.03.2013 - V ZR 31/12] Rz 15; s Vor § 305 Rn 11), sowie die in jüngerer Zeit entwickelte Ausübungskontrolle (Rn 30) Teil der begrenzenden Wirkung von Treu und Glauben. Dies gilt insbes für die Kontrolle von Individualvereinbarungen, soweit nicht § 310 III eingreift (s BGH NJW 13, 2742 [BGH 08.05.2013 - IV ZR 233/11] Rz 34 ff; OLGR Celle 06, 478). Insoweit dient § 242 auch der Umsetzung von Art 3 III Zahlungsverzugsrichtlinie (dazu Gebauer/Wiedmann/Schmidt-Kessel Verzug Rz 29). Nach § 242 ist insbes ein formelhafter Ausschluss der Gewährleistung für Sachmängel beim Erwerb neuerrichteter Häuser auch im notariellen Individualvertrag unwirksam, wenn die Freizeichnung nicht mit dem Erwerber unter ausführlicher Belehrung über die einschneidenden Rechtsfolgen eingehend erörtert worden ist (BGHZ 101, 350, 353; BGH NJW-RR 07, 895). Teilw treten besondere Aufklärungspflichten an die Stelle der Inhaltskontrolle (BGH NJW 08, 987 [BGH 20.12.2007 - III ZR 144/07] [Stellvertretervereinbarung in Wahlleistungsabrede]). Zur Inhaltskontrolle von Verträgen im Bereich des Familien- und Erbrechts s § 310 Rn 14 f, § 1408 Rn 24 ff, § 1585c Rn 6, § 2346 Rn 1. Zur Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen und Vereinssatzungen Vor § 305 Rn 11 sowie § 705 Rn 2; zur Grenzziehung zu § 307s BGH NZG 12, 744 [BGH 23.04.2012 - II ZR 211/09] Rz 45. Ob wohnungseigentumsrechtliche Teilungserklärungen einer Inhaltskontrolle analog §§ 307 ff unterliegen oder an § 242 zu messen sind, ist umstr (s BGHZ 151, 164, 173 f; BGH NJW 07, 213). Für die datenschutzrechtliche Einwilligung iSv § 4a BDSG aF (nunmehr: Art 6 I lit a DSGVO) sind §§ 307 ff und nicht § 242 maßgebend (BGH NJW 08, 3055 [BGH 16.07.2008 - VIII ZR 348/06]; BGH NJW 10, 864 [BGH 11.11.2009 - VIII ZR 12/08]).
Rn 29
Die Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen richtet sich inzwischen nach § 307 (zum Übergang vom alten Recht s BAG AP Nr 16 zu § 307, Rz 19 ff). Die in § 310 IV 1 ausgenommenen arbeitsrechtlichen Kollektivvereinbarungen unterliegen grds einer Inhaltskontrolle nach § 242, welche freilich aufgrund von Art 9 III GG jedenfalls für Tarifverträge kaum ausgeübt werden kann (vgl Annuß BB 02, 458, 459). § 310 IV 1 begründet hier kein Gegenargument, weil die Vorschrift es insoweit lediglich beim bisherigen Rechtszustand belässt (Löwisch/Kaiser BetrVG § 77 Rz 30; aA Annuß BB 02, 458, 459).
Rn 30
Als schwächer eingreifende Alternative zur Inhaltskontrolle hat die Rspr in jüngerer Zeit auch eine auf § 242 gestützte Ausübungskontrolle entwickelt. Mit dieser wird verschiedenen Fällen unzulässiger Rechtsausübung entgegengewirkt (Staud/Looschelders/Olzen § 242 Rz 213). Praktisch wichtigste Fallgruppe ist dabei das Abschneiden der Berufung auf bestimmte ehevertragliche Vereinbarungen (insbes Unterhaltsverzicht und Ausschluss des Versorgungsausgleichs). In solchen Fällen, in denen die – wirksame – Vereinbarung nicht mehr zur tatsächlichen Entwicklung der Lebensverhältnisse passt (grundl BGHZ 158, 81, 101 f, 106 ff; ferner BGH NJW 09, 2124 [BGH 18.03.2009 - XII ZB 94/06] Rz 15; BGH NJW 13, 2753 [BGH 17.07.2013 - XII ZB 143/12] Rz 21 ff; BGH NZFam 14, 1132 Rz 22 ff; vgl für die Einzelheiten § 1585c Rn 6) liegt heute freilich richtigerweise ein Fall des § 313 vor. Ferner ist die Ausübungskontrolle für allg Versicherungsbedingungen in solchen Fällen anerkannt, in welchen wirksame Klauseln in Einzelfällen zu besonderen Härten führen, die von ihrem Zweck nicht gedeckt sind (BGH NJW 01, 3406, 3407 f [keine Leistungspflicht der Krankenversicherung bei Behandlung durch nahe Verwandte]; BGH NJW 18, 1544 [BGH 04.04.2018 - IV ZR 104/17] Rz 17). Entspr Entscheidungen finden sich zur Berufung auf wirksame vertragliche Haftungsausschlüsse und Haftungsfreistellungen (etwa Celle NZBau 06, 651). Der Kreis der Fälle ...