Rn 36
Der Einwand ist im Prozess vAw zu berücksichtigen (BGHZ 3, 94, 103 f; BGHZ 37, 147, 152). Die unzulässige Rechtsausübung genießt keinen Rechtsschutz (Art 2 II SchwZGB). Gleichwohl ist es missverständlich, wenn es heißt, das Rechtsinstitut begründe lediglich ein Abwehrrecht (so NK/Krebs § 242 Rz 70): Da sich der Einwand unzulässiger Rechtsausübung auch gegen Einwendungen zu richten vermag, kann ihm funktional auch eine offensive Wirkung zukommen (etwa BAG AP Nr 2 zu § 611 Wiedereinstellung, Rz 17; BAG NZA 13, 1267 Rz 33). So kann die rechtsmissbräuchliche Zwischenschaltung eines Strohmanns die dadurch erstrebte Umgehung von Schutzvorschriften zu Lasten des Hintermanns scheitern lassen (BAG NZA 13, 1267 [BAG 15.05.2013 - 7 AZR 494/11] Rz 33 [sehr differenzierte Lösung]). Die unzulässige Rechtsausübung selbst kann jedoch nie zu Ersatz-, Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüchen führen; diese können sich freilich aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis, aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus Delikt ergeben (NK/Krebs § 242 Rz 70). Bei der Entwicklung einzelner Normen durch Konkretisierung von § 242 kann es auch zu weitaus differenzierteren Rechtsfolgen kommen; das gilt etwa für die Rechtsfolgen der Beweisvereitelung (s.u. Rn 45) oder bei rechtsmissbräuchlichen Kostenfestsetzungsanträgen (BGH NJW 13, 66 [BGH 11.09.2012 - VI ZB 59/11]).
Rn 37
Eine mittelbar offensive Funktion kommt dem Einwand unzulässiger Rechtsausübung dort zu, wo er ausnahmsweise zur Überwindung von Formerfordernissen oder anderen Einwendungen oder Einreden eingesetzt wird. Die Wirkungen von § 125 (s § 125 Rn 19 ff, 27 ff) können etwa überspielt werden, wo eine Partei die Formwidrigkeit bewusst herbeigeführt (s Rn 45) oder den anderen Teil erfolgreich über das Nichtbestehen des Formerfordernisses getäuscht hat (BGH NJW 69, 1170 [BGH 21.03.1969 - V ZR 87/67]). Als schlechthin untragbar wird die Durchsetzung der Formnichtigkeit ferner in manchen Fällen der Existenzgefährdung angesehen (BGH BB 06, 1646 [BGH 12.12.2005 - II ZR 330/04]). Schlicht widersprüchliches Verhalten kann jedoch schon deshalb nicht genügen, weil sich derjenige, der sich auf den Formmangel beruft, immer in Widerspruch zu seiner – formnichtigen – Erklärung setzt und grds auch setzen darf (vgl Rn 59). Auch sonst kommt eine Anwendung von § 242 nur ausnahmsweise in Betracht (jeweils abgelehnt: BGH NJW 14, 2102 Rz 26 ff sowie BGH NJW 14, 1087, Rz 15 ff [beide Entscheidungen zu § 550 nach gesetzlichem Eintritt gem § 566 I in den Mietvertrag]; BGH NJW 11, 2976 [BGH 19.05.2011 - III ZR 16/11] [zu § 1031 V ZPO]; BGH NJW 14, 1087 [BGH 22.01.2014 - XII ZR 68/10] Rz 15 ff; BAG ArbuR 06, 332 [zu § 59 III BAT]; BGH NJW 16, 1391 [BGH 22.10.2015 - IX ZR 100/13] Rz 15 [zu § 3a I 1 RVG]; Köln NJW-RR 06, 225 [OLG Köln 27.10.2005 - 23 WLw 6/05] [zu § 2352]; Saarbr BRAK-Mitt 4/06, 183, 186 [OLG Saarbrücken 03.05.2006 - 1 U 397/05]; LAG Düsseldorf LAGE § 623 BGB 2002 Nr 4 Rz 16 ff). Die zwanzigjährige Durchführung eines formnichtigen Treuhandvertrages schließt die Berufung auf die Nichtigkeit jedoch aus (BGH BB 06, 1646 [BGH 12.12.2005 - II ZR 330/04] [zu § 15 IV GmbHG]; anders BGH NJW 13, 1083 [BGH 30.01.2013 - XII ZR 38/12] Rz 26 [15 Jahre; § 550]). Die Berufung einer Mietvertragspartei auf die Formnichtigkeit einer ihr vorteilhaften Vertragsänderung ist treuwidrig, wenn sie sich dadurch von einem ihr lästig gewordenen Mietvertrag lösen will (BGH BB 17, 2689); ebenso die Berufung des umfassend aufgeklärten Patienten auf die Formnichtigkeit einer Honorarvereinbarung nach Abschluss der Behandlung (BGH NJW-RR 17, 596 [BGH 03.11.2016 - III ZR 286/15]). Bei formwidrigen Verfügungen zeigt sich die Rspr bisweilen großzügiger (s Köln FGPrax 07, 19 für einen Verstoß gegen §§ 873, 925, 313 aF [311b I] iVm § 4 WEG). Der Überwindung von Formerfordernissen vergleichbar hat die Rspr im Einzelfall die Rückabwicklung eines mangels Erlaubnis nichtigen Vertrags gesperrt, wenn sich die Erlaubnispflichtigkeit erst nachträglich durch eine Rechtsprechungsänderung ergeben hat (BGH NJW 07, 1130 [BGH 01.02.2007 - III ZR 281/05]). Entspr kann einer Partei ausnahmsweise die Berufung auf den Verstoß gegen ein gesetzliches Vertretungsverbot (BGH BeckRS 09, 14815 Rz 30 ff [Art 1 § 1 RBerG]) sowie im Anschluss auf §§ 177 II, 178 (BGH NJW 12, 3424 [BGH 20.07.2012 - V ZR 217/11]) verwehrt sein. Entspr kann sich im Einzelfall bei Unterschreiten der zwingenden Mindesthonorarsätze nach der HOAI ergeben (BGHZ 136, 1, 9; BGH NJW 12, 848 Rz 24). Eine Zurückweisung nach § 174 kann treuwidrig sein, wenn der Erklärungsempfänger den Vertreter in der Vergangenheit auch ohne Vorlage einer Urkunde wiederholt als solchen anerkannt hat (BGH NJW 20, 1456 Rz 59). Im Einzelfall hat die Rspr auch die Wirkungen des § 306 für die Vergangenheit durch Rügeerfordernisse eingeschränkt (BGH NZM 12, 432 [BGH 14.03.2012 - VIII ZR 113/11] [unwirksame Preisanpassungsklausel; Frist drei Jahre ab Rechnungszugang]); zur Lückenfüllung nach AGB-Verdikt durch er...