Rn 53
Das deutsche Recht kennt keinen allg Grundsatz, dass geringfügige Pflichtverletzungen stets ohne Folgen bleiben (BGHZ 88, 91, 95; BGH WM 85, 876, 877), vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, um die Ausübung von Rechten in solchen Fällen als unzulässig erscheinen zu lassen. In den gesetzlich geregelten Fällen der §§ 281 I 3, 320 II, 323 V 2, 536 I 3 ergeben sich solche Umstände aus der Tatsache, dass dem verletzten Teil Alternativen zur Verfügung stehen, welche ihn nach der gesetzlichen Wertung hinreichend schützen (für § 273 muss dagegen § 242 bemüht werden: BGH BB 06, 517, 518 [BGH 11.01.2006 - VIII ZR 396/03]; BAGE 153, 111 [BAG 22.10.2015 - 2 AZR 569/14] Rz 37). Entspr Wertungen liegen in den zahlreichen Fristsetzungs-, Abmahnungs- oder Mahnungserfordernissen (etwa §§ 250, 281 I 1, 286 I, 314 II, 323 I, 536a, 637 I), welche durch ihre wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Rechtsfolge ohne Rückgriff auf § 242 sicherstellen (vgl OLGR Naumburg 06, 563 [kaufrechtliche Minderung nach altem Recht ggfs erst nach Hinnahme des Mangels für einen Übergangszeitraum]). Ein solcher ist nur erforderlich, wo die einzuschränkende Rechtsposition selbst nicht über entspr Einfallstore verfügt:
Rn 54
Richtet sich etwa die Beseitigung eines Vergleichs mit Ratenzahlungsvereinbarung nicht nach §§ 314 II, 323, sondern haben die Parteien eine auflösende Bedingung dergestalt vereinbart, dass die verspätete Zahlung einer Rate den Vergleich hinfällig macht, kommt die Vermeidung dieser Rechtsfolge nur in Frage, wenn eine unzulässige Rechtsausübung vorliegt. Wegen der § 323 II Nr 2 vergleichbaren Funktion der Bedingungskonstruktion (BGH WM 85, 876, 877) sind hieran jedoch hohe Anforderungen zu stellen; möglich ist etwa, dass der Gläubiger insoweit einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (BGH NJW 03, 2448, 2449 [BGH 08.05.2003 - VII ZR 216/02]). Als unverhältnismäßig kann auch die sich aus der Rechtsausübung ergebende Existenzvernichtung einzuordnen sein (s BGH NJW-RR 06, 615, 616 [BGH 11.01.2006 - VIII ZR 396/03] [Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts]); das gilt insbes für die Berufung auf das Fehlen der gesetzlich vorgeschriebenen Form (s Rn 37). Als nicht unverhältnismäßig wird regelmäßig die Entfernung eines Fahrzeugs von privatem Grund nach § 859 angesehen (BGH NJW 09, 2530 [BGH 05.06.2009 - V ZR 144/08] Rz 16). Arbeitsrechtlich wird insbes der ›Kündigungsschutz light‹ auf die Unverhältnismäßigkeit der zu prüfenden Kündigung gestützt (s Rn 20); auf derselben Basis ruht der vom BAG angenommene Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung (s BAG NZA 05, 1289 [BAG 21.04.2005 - 2 AZR 132/04]). Eine der Kündigung vorausgehende Abmahnung wird jedoch nur hinsichtlich ihrer Form und Umstände, nicht jedoch in der Sache auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft (LAG Schleswig-Holstein NZA-RR 06, 180, 181 [LAG Schleswig-Holstein 29.11.2005 - 2 Sa 350/05]). Der Anspruch eines Wohnungseigentümers auf erstmalige plangerechte Herstellung des Gemeinschaftseigentums kann bei nur unwesentlichen Abweichungen der Bauausführung treuwidrig sein (BGHZ 208, 29 Rz 21 f [in casu abgelehnt]].