1. Allg Fragen und Struktur.
Rn 32
Die gegen § 242 verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist unzulässig (RGZ 146, 385, 396; BGHZ 12, 154, 157). Wann das Verbot unzulässiger Rechtsausübung eingreift, ist also eine Frage der Konkretisierung des Gebots von Treu und Glauben. Diese geschieht nicht nur im Einzelfall (so aber Grüneberg/Grüneberg § 242 Rz 38), sondern va durch die Ausbildung und Festigung von Fallgruppen und Argumentationsformen. Zum Erfordernis der Sonderverbindung s.o. Rn 9. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Treuwidrigkeit ist die Geltendmachung des Rechts (BGHZ 13, 346, 350), im Prozess die letzte mündliche Verhandlung in der Tatsacheninstanz (Grüneberg/Grüneberg § 242 Rz 38). Die Unzulässigkeit der Rechtsausübung ist nicht notwendig unabänderlich, vielmehr kann sie erst zu einem späteren Zeitpunkt als der Entstehung des Rechts eintreten (MüKo/Roth [5. Aufl] § 242 Rz 198) oder nachträglich entfallen (BGHZ 52, 365, 368). Letzteres ist etwa der Fall, wenn der Verjährungseinrede des Schuldners zunächst ein auf § 242 gestützter Einwand entgegensteht, der Gläubiger den Anspruch jedoch nicht innerhalb einer kurz bemessenen Überlegungsfrist gerichtlich geltend macht (Karlsr VersR 06, 251).
a) Innentheorie versus Außentheorie.
Rn 33
Die Unzulässigkeit der Ausübung eines Rechts stößt logisch auf Schwierigkeiten: Entweder das Recht besteht und kann ausgeübt werden oder es besteht nicht und kann deshalb nicht ausgeübt werden. Um die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs ringen zwei Ansätze: Nach der sog Innentheorie bildet die Unzulässigkeit der Ausübung eine immanente Begrenzung der betroffenen Rechtsposition (hA: BGHZ 30, 140, 145 [›Ein Handeln ohne Recht‹]; zuletzt BGH NJW-RR 05, 619, 620; BVerwG NVwZ-RR 13, 1003 Rz 18; BGH NJW-RR 15, 457 [BGH 10.12.2014 - VIII ZR 9/14] Tz 28; NK/Krebs § 242 Rz 63). Hingegen tastet die sog Außentheorie den Bestand des Rechts selbst nicht an, sondern erklärt die Unzulässigkeit seiner Ausübung als von außen an das Recht herantretende Ausübungsschranke (s etwa BGH GRUR 01, 242, 244 [BGH 23.11.2000 - I ZR 93/98]; BGH NJW 11, 969 Rz 16). Letzteres ist – jedenfalls für das Schuldrecht – vorzugswürdig, weil sich so das vom Berechtigten erwartete Verhalten selbstständig und im Grundsatz unabhängig von der Rechtsposition beschreiben lässt und auch Differenzierungen auf der Rechtsfolgenseite besser möglich sind. Die damit formulierten Pflichten respective Obliegenheiten (s § 241 Rn 28) des Berechtigten treten neben diejenigen des anderen Teils und sind somit originärer Bestandteil des Pflichtenprogramms des betreffenden Schuldverhältnisses (Schmidt-Kessel Gläubigerfehlverhalten § 11 I 2). Soweit derartige Erwartungen an den Berechtigten zum Gegenstand selbstständiger gesetzlicher Regelungen werden – wichtigstes Bsp ist der Gläubigerverzug (s § 293 Rn 1 f) –, folgen diese ohnehin notwendig der Außentheorie.
b) Subjektive Voraussetzungen?
Rn 34
In der exceptio doli, der klassischen Formulierung des Verbots unzulässiger Rechtsausübung, schwingt noch das alte Vorsatzerfordernis mit, weshalb diese Rechtsfigur früher vielfach auch § 826 zugeordnet wurde (s § 826 Rn 6; BGH LM § 242 Nr 166 [§ 826 zu eng]). Heute besteht insoweit Einigkeit, als der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ein Verschulden oder Vertretenmüssen nicht zwingend voraussetzt (BGHZ 64, 5, 9; BAG NZA 13, 1267 Rz 27; BGH BetrAV 16, 147 Rz 22 ff). Das schließt nicht aus, dass für einzelne verfestigte Fallgruppen gleichwohl ein subjektives Element verlangt wird (s.u. Rn 43, 64 ff). Umgekehrt soll es bei der zweckwidrigen Berufung weder eines subjektiven Elements noch einer Umgehungsabsicht bedürfen (BAG NZA 13, 1267 [BAG 15.05.2013 - 7 AZR 494/11] Rz 27). Jedenfalls sind derartige subjektive Elemente bei der Konkretisierung der Verbotsvoraussetzungen zu berücksichtigen (NK/Krebs § 242 Rz 65; Jauernig/Mansel § 242 Rz 35).
c) Zurechnung des Verhaltens Dritter.
Rn 35
Spielt bei der Frage nach der Unzulässigkeit der Rechtsausübung das Verhalten eines Dritten herein, kommt es zunächst darauf an, ob die die Unzulässigkeit begründende Treuwidrigkeit im Verhalten des Berechtigten selbst liegt; ist dies der Fall, kommt es auf eine Zurechnung nicht an. Ist nur das Verhalten des Dritten als solches treuwidrig, stellt sich die Frage einer Zurechnung dieser Treuwidrigkeit an den Berechtigten. Hat der Dritte von vornherein im Pflichtenkreis des Berechtigten gehandelt, ergibt sich die Zurechnung analog § 278 (vgl BGH NJW 73, 1604, 1605 [BGH 14.12.1972 - II ZR 82/70]) oder bei rechtsgeschäftsähnlichem Kontext entspr § 164 (vgl BGH r + s 12, 454 Rz 33). Dies gilt auch bei rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerrufs durch einen von mehreren Vertragspartnern. Diese wirkt nicht schon nach § 351 S 1 zum Nachteil der übrigen Vertragspartner (BGH VuR 17, 317). Besondere – nicht allgemein geklärte – Schwierigkeiten ergeben sich bei Überschreitung der Befugnisse durch den Dritten (s BGH r + s 12, 454 [Versicherungsgutachter, Zurechnung verneint]). Fehlt es an dieser Voraussetzung, schadet dem Berechtigten grds positive Kenntnis vom Fehlverhalten ...