1. Ergänzende Wirkung.
Rn 25
Die ergänzende Wirkung von § 242 trägt dem Umstand Rechnung, dass sowohl die Parteien als auch der Gesetzgeber den Inhalt von Rechtsverhältnissen nicht vollständig bestimmen können. Va beim Pflichtenprogramm aber auch auf der Rechtsbehelfsseite sind daher Ergänzungen erforderlich, dies auch damit die betroffenen Verträge nicht wegen Unbestimmtheit unwirksam sind (s BGH NJW 06, 2843 [BGH 12.05.2006 - V ZR 97/05]). Den Gerichten stehen dabei verschiedene Ergänzungstechniken zur Verfügung, die sich nicht immer klar und deutlich voneinander abgrenzen lassen: Soweit es um die Ergänzung der gesetzlichen Vorgaben geht, erfolgt diese etwa durch Analogieschlüsse, extensive Interpretationen oder auch unter offenem Rückgriff auf § 242 (etwa BGHZ 184, 117 [zur Übertragbarkeit von § 556 III 2 auf die Geschäftsraummiete] und BGH NJW 10, 3647 Rz 17 [Übertragung der §§ 556 III 1, 560 V, und § 24 II 1 der II. BerechnungsVO und § 20 I 2 NMVO auf die Geschäftsraummiete]). Insoweit gelten die allg Regeln richterlicher Rechtsfortbildung (vgl o Rn 23). Zu einzelnen unter § 242 entwickelten Pflichten s.u. Rn 68–85. Eine Erweiterung der Befugnisse des Berechtigten eines dinglichen Rechts über dessen Inhalt hinaus ist ausgeschlossen (BGH NZM 12, 800 [BGH 13.07.2012 - V ZR 206/11] Rz 15).
Rn 26
Neben der Entwicklung ergänzender Normen wird § 242 auch zur Ergänzung von Rechtsverhältnissen im Einzelfall herangezogen. Insbes gilt die Vorschrift als eine Basis der zudem auf § 157 gestützten ergänzenden Vertragsauslegung (s § 133 Rn 25 ff, § 157 Rn 15 ff), also der heteronomen Ergänzung von Verträgen durch den Richter (s Schmidt-Kessel ZVglRWiss 96 [1997] 101, 139 ff). Dabei ist insbes das Verhältnis zum dispositiven Recht umstr: Teilw wird angenommen, die ergänzende Vertragsauslegung stehe hinter dem dispositiven Recht immer zurück (Henckel AcP 159 [60/61] 106, 122; Mangold NJW 61, 2284, 2286). Soweit eine Ergänzung allein mit den von den Parteien vorgenommenen Wertungen gerechtfertigt werden kann, geht sie dem dispositiven Recht jedoch bereits aufgrund der Privatautonomie vor (BGH NJW 75, 1116, 1117 [BGH 19.03.1975 - VIII ZR 262/73] [gesetzliche Regelung widerspricht dem Willen der Parteien]). Richtigerweise kommt der ergänzenden Vertragsauslegung wegen ihrer größeren Nähe zum Konsens und der § 242 eigenen Korrekturfunktion sogar generell Vorrang vor dem dispositiven Recht zu (s BGH NJW 79, 1705, 1706 [BGH 23.11.1978 - II ZR 20/78]; vgl BGH NJW 11, 915 [BGH 27.01.2011 - VII ZR 133/10] [keine Überwindung von § 649 aF durch Mindestlaufzeit]). Teilw werden derartige Vertragsergänzungen sogar als Basis der Inhaltskontrolle nach § 307 angesehen (BGH ZIP 13, 2194 Rz 20). Zur ergänzenden Auslegung von Tarifverträgen s BAG NZA 07, 759.
2. Begrenzende Wirkung.
Rn 27
Der Grundsatz von Treu und Glauben entfaltet zudem begrenzende Wirkungen für die sich aus dem Rechtsverhältnis oder der Rechtsordnung ergebenden Rechtspositionen der Parteien (auch: Schrankenfunktion). Diese – gelegentlich auch bei § 826 verortete (s § 826 Rn 2) – Funktion findet im Wortlaut von § 242 zwar keine Stütze, sie ist jedoch nach dem Vorbild von Art 2 SchwZGB heute allg anerkannt (BVerwG 13, 55000 Rz 18). Umstr ist hingegen, ob diese Funktion den betreffenden Rechtspositionen von vornherein immanent ist (sog Innentheorie), oder ob sie als gegenläufiger, außerhalb der jeweiligen Rechtsposition angesiedelter Widerpart eingeordnet werden muss (sog Außentheorie; s.u. Rn 33).
Rn 28
In den Bereich der begrenzenden Wirkung von Treu und Glauben fallen va die verschiedenen überkommenen Rechtsinstitute und Argumentationsformen, welche sich unter der Bezeichnung unzulässige Rechtsausübung und Rechtsmissbrauch zusammenfassen lassen (s.u. Rn 41–60). Außerdem zählt die Verwirkung hierher (s.u. Rn 61–67). Schließlich sind auch die auf § 242 gestützte Inhaltskontrolle von Verträgen, soweit sie neben §§ 305 ff Anwendung findet (BGH NJW 08, 890 [nicht neben § 307]; für einen Altfall BGH NJW-RR 13, 1028 [BGH 01.03.2013 - V ZR 31/12] Rz 15; s Vor § 305 Rn 11), sowie die in jüngerer Zeit entwickelte Ausübungskontrolle (Rn 30) Teil der begrenzenden Wirkung von Treu und Glauben. Dies gilt insbes für die Kontrolle von Individualvereinbarungen, soweit nicht § 310 III eingreift (s BGH NJW 13, 2742 [BGH 08.05.2013 - IV ZR 233/11] Rz 34 ff; OLGR Celle 06, 478). Insoweit dient § 242 auch der Umsetzung von Art 3 III Zahlungsverzugsrichtlinie (dazu Gebauer/Wiedmann/Schmidt-Kessel Verzug Rz 29). Nach § 242 ist insbes ein formelhafter Ausschluss der Gewährleistung für Sachmängel beim Erwerb neuerrichteter Häuser auch im notariellen Individualvertrag unwirksam, wenn die Freizeichnung nicht mit dem Erwerber unter ausführlicher Belehrung über die einschneidenden Rechtsfolgen eingehend erörtert worden ist (BGHZ 101, 350, 353; BGH NJW-RR 07, 895). Teilw treten besondere Aufklärungspflichten an die Stelle der Inhaltskontrolle (BGH NJW 08, 987 [BGH 20.12.2007 - III ZR 144/07] [Stellvertretervereinbarung in Wahlleistungsabrede]). Zur...