Rn 1
§ 243 enthält Regelungen für die häufig vorkommende Gattungsschuld als Gegenbegriff zur das Grundmodell des Schuldrechts bildenden Stückschuld. Ergänzende Vorschriften finden sich in §§ 300 II, 524 II, 2155, 2182 f und für das Handelsrecht in §§ 360, 373 ff HGB. Ihre Funktion erhält diese Begrifflichkeit insbes bei der Verteilung der Leistungsgefahr nach § 275: Diese trägt nach dem Grundmodell der Gläubiger (s § 275 Rn 4), während der Schuldner die Leistungsgefahr trägt, soweit er aus einer Gattung schuldet. Ferner übernimmt der Schuldner, wiederum soweit er aus der Gattung schuldet, das Beschaffungsrisiko iSv § 276 I 1, sodass er grds unabhängig von Fahrlässigkeit auf Schadensersatz haftet (s § 276 Rn 27). Nach § 434 V begründet die Abweichung von der Gattung beim Kauf zudem einen Sachmangel; das gilt freilich nur, soweit der Verkäufer davon ausgeht, mit der angebotenen Leistung erfüllen zu können (zu den Einzelheiten § 434 Rn 75 ff).
Rn 2
Umstr ist die Frage, ob das Begriffspaar Gattungs- und Stückschuld auch die Auswahl des Käufers zwischen den verschiedenen Arten der Nacherfüllung nach § 439 I steuert (dazu auch § 439 Rn 26 f); nimmt man dies an, bedarf es jedoch zur Herstellung einer mit Art 3 II, III Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zu vereinbarenden Lösung (s Gebauer/Wiedmann/Leible Kaufvertrag Rz 77) einer Veränderung der bewährten Abgrenzungskriterien (so konsequent Ackermann JZ 02, 378 [wenn Neulieferung möglich, dann Gattungsschuld]). Richtigerweise hat die Entscheidung über die Neulieferung daher unabhängig von den Kategorien des § 243 zu erfolgen: Diese scheidet nicht schon deshalb aus, weil ein Stückkauf vorliegt (BGH BB 06, 1984, 1986). Ob eine Ersatzlieferung in Betracht kommt, ist vielmehr nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen der Parteien zu beurteilen, wie er bei Vertragsschluss vorlag (BGH BB 06, 1984, 1986 [BGH 07.06.2006 - VIII ZR 209/05]; s § 439 Rn 27).
Rn 3
Obwohl sich der Wortlaut des § 243 lediglich auf Sachleistungsschulden bezieht, ist die Vorschrift entspr auch auf den Kauf sonstiger Gegenstände (NK/Tettinger § 243 Rz 9 [Forderungen mit bestimmtem Nennwert]), Dienst- und Werkleistungen (Koller VersR 95, 1385, 1386 [Lagerhaltung]; BGHZ 100, 157, 174 [Reisevertrag], sofern nicht nur eine ›Fahrt ins Blaue‹ geschuldet ist [BGH NJW-RR 23, 755]), Leasingverträge (BGH NJW 82, 873) oder auf die Bestellung von Sicherheiten (NK/Tettinger § 243 Rz 9 [Sicherungsabtretung von Forderungen zu einem Gesamtnennwert]) anzuwenden. Das gilt auch für Arbeitnehmerüberlassungsverträge (BAG NZA 13, 847 [BAG 22.11.2012 - 2 AZR 371/11] Rz 21; 23, 505 Rz 55) oder den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers auf Freistellung nach §§ 1 ff BUrlG, der bis zur Konkretisierung nur der Gattung nach – Werktage – bestimmt ist (BAG NZA 06, 439, 441). Nicht um einen Fall der Gattungsschuld geht es hingegen, wenn es um die nähere Bestimmung des Schuldinhalts durch Weisung oder durch zwischen den Parteien entstandene Gepflogenheiten geht; soweit insbes im Arbeitsrecht in derartigen Zusammenhängen von einer Konkretisierung der Arbeitsleistung die Rede ist (ErfK/Preis [18. Aufl] § 611 Rz 220 ff [Betriebliche Übung], Rz 233 [Direktionsrecht des Arbeitgebers]), wird vom schuldrechtlichen Sprachgebrauch abgewichen.