Rn 6
Bei der Gattungsschuld bestimmt der Schuldner den Leistungsgegenstand im Wege der Konkretisierung (s Rn 10 ff). Er ist darin jedoch nicht frei, sondern hat aus der vereinbarten Gattung nach § 243 I mangelfreie Sachen mittlerer Art und Güte auszuwählen. Die Vorschrift wird weitgehend durch die speziellen Regeln der §§ 434 I–III, 524 II, 535, 600, 633 II, 651i verdrängt. Eigenständige Bedeutung kann sie etwa im Mietrecht bei § 536 (LG München I NJW 10, 161, 162 [LG Koblenz 18.03.2009 - 10 O 250/08]) oder bei der Konkretisierung von auf den Mieter überwälzten Reparaturpflichten (BGH NJW 10, 2877 [BGH 09.06.2010 - VIII ZR 294/09] [Fachhandwerker nicht erforderlich]) erlangen. Für den Handelsverkehr gilt § 360 HGB.
Rn 7
Regelfall der Gattungsschuld ist die marktbezogene Gattungsschuld. Das deutsche Recht geht davon aus, dass sich der Schuldner die geschuldete Leistung am Markt beschafft. Die Marktbezogene Gattungsschuld begründet daher eine Beschaffungspflicht des Schuldners (BGH NJW-RR 04, 50, 52 [BGH 15.10.2003 - VIII ZR 358/02]; grdl Ballerstedt FS Nipperdey 1955, 261, 272; sehr krit hierzu Gsell Beschaffungsnotwendigkeit 12 ff, 205 ff). Das vom Schuldner übernommene Risiko umfasst daher sämtliche am Markt verfügbare Ware. Diese Risikoübernahme ist die Rechtfertigung, den Schuldner die Leistungsgefahr iSv § 275 und das Beschaffungsrisiko iSv § 276 tragen zu lassen; der umgekehrte Schluss des alten Rechts (§§ 275, 279 aF) trägt heute nicht mehr (s aber Jauernig/Mansel § 243 Rz 5). Wer aus der Gattung schuldet, wird nur frei, wenn die gesamte Gattung vom Markt verschwunden ist (Grüneberg/Grüneberg § 243 Rz 3).
Rn 8
Das Risiko des Schuldners wird vielfach durch die Vereinbarung einer beschränkten Gattungsschuld zurückgeschnitten. Das ist etwa der Fall, wenn die Zugehörigkeit der zu leistenden Ware zu einem bestimmten Vorrat zu den die Gattung beschreibenden Merkmalen zählt (Vorratsschuld; RGZ 108, 419, 420 [bestimmter Lagerplatz]; BGH WM 73, 363, 364 [bestimmte Schiffsladung]; krit zur Begrifflichkeit Gsell Beschaffungsnotwendigkeit 202–204). Praktisch häufiger ist die Beschränkung der Gattungsschuld auf eine bestimmte Quelle (RGZ 84, 125, 126 [Produkte eines bestimmten Hofs]; Karlsr JZ 72, 120 [OLG Karlsruhe 02.03.1971 - 11 U 77/70] [Kohlen aus einer bestimmten Zeche]; München OLGZ 73, 454 [Bier einer bestimmten Brauerei]). Eine solche Beschränkung ist im Zweifel anzunehmen, wenn der Produzent der geschuldeten Ware verkauft (RGZ 88, 287, 288). Eine entspr Beschränkung kann sich auch nachträglich in Anwendung von § 300 II (NK/Schmidt-Kessel § 300 Rz 7; aA Staud/Feldmann [2014] § 300 Rz 20f) oder bei Erfüllung von Schickschulden im Wege des Sammelversands (Grüneberg/Grüneberg § 243 Rz 5) ergeben.
Rn 9
Ob bei teilweisem Untergang des Vorrats oder Versiegen der Quelle der Schuldner berechtigt ist, die Forderungen seiner Gläubiger anteilig zu kürzen (dazu RGZ 84, 125; Ernst GS Knobbe-Keuk 1997, 49, 97 ff; Schmidt-Kessel Standards vertraglicher Haftung 150 ff), ist eine Frage der Risikoverteilung im Einzelfall und dürfte für § 275 und für § 276 unterschiedlich zu entscheiden sein: Für einen Ausschluss des Erfüllungsanspruches nach § 275 I genügt es nämlich, dass der Schuldner den verbliebenen Rest des Vorrats bereits verteilt hat; ein Anspruch auf Rückbeschaffung von den zuerst bedienten Gläubigern wird in aller Regel an § 275 I–III scheitern. Für die Frage der Haftung auf Schadensersatz kommt es hingegen darauf an, ob die vom Schuldner gewählte Verteilung mit Blick auf sämtliche betroffenen Vertragsverhältnisse angemessen ist; das wird regelmäßig bei einer anteiligen Kürzung der Forderungen der Fall sein.