I. Ausgangspunkt.
Rn 99
In aller Regel braucht der Schädiger dem Gläubiger des Schadensersatzes nur denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem Gläubiger selbst entstanden ist. Das folgt zB aus § 251 I (Entschädigung ›des Gläubigers‹), zudem aus vielen Anspruchsnormen (zB § 823 I ›dem anderen‹), wird aber auch sonst allg als Regel vorausgesetzt (sog Dogma vom Gläubigerinteresse). Dieses Dogma verdient selbst in Leistungsketten den Vorzug vor einer ›Direktliquidation‹ (Langenbucher/Adolff FS Canaris [07] I, 679 ff). Wenn ausnahmsweise im Deliktsrecht der Schaden eines Dritten ersetzt werden soll, der nicht selbst verletzt worden ist, wird diesem idR ein eigener Anspruch gewährt (va § 844, 845, anwendbar auch nach § 618 III). Entspr Vorschriften finden sich in den Gesetzen über eine Gefährdungshaftung (zB § 10 II StVG, § 5 II HaftPflG, § 35 II LuftVG).
Rn 100
Außerhalb dieser Drittansprüche bleibt ein Drittschaden idR unersetzt. So haftet, wer einen Erblasser tödlich verletzt hat, den Erben nur für den beim Erblasser entstandenen Schaden. Dagegen kann der Erbe nicht eigenen Schaden gelten machen, zB weil ein zu einem Nachlass gehörendes Unternehmen liquidiert werden muss (BGH VersR 72, 460). Selbst wenn der Anspruch des Verletzten durch Legalzession auf einen Dritten übergeleitet wird (o Rn 81), umfasst dieser Anspruch doch bloß den Schaden des Verletzten. So kann der Arbeitgeber des Verletzten nur den bei diesem fiktiv entstehenden Lohnausfall ersetzt verlangen. Ob sein eigener Schaden größer (zB Betriebsstillstand) oder kleiner war (die Arbeit des Verletzten wird durch dessen Kollegen ohne besondere Vergütung miterledigt), spielt keine Rolle, BGH NJW 09, 355 [BGH 14.10.2008 - VI ZR 36/08].
Rn 101
Für einen wirklichen Ersatz des Drittschadens gibt es daher nur zwei Wege: (1.) Dem Dritten wird ein eigener Anspruch gewährt; das geschieht beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (vgl Vor § 328 Rn 2 ff). (2.) Der Gläubiger des Ersatzanspruchs kann den Schaden des Dritten liquidieren. Das ist die im Folgenden zu erörternde Drittschadensliquidation. Sie wird oft mit einer zufälligen Schadensverlagerung begründet: Dass der Schaden in untypischer Weise nicht beim Verletzten selbst eingetreten ist, sondern bei einem Dritten, soll den Schädiger nicht entlasten. Doch ist hier der Begriff ›zufällig‹ zweifelhaft, selbst wenn man ihn nur auf die Sicht des Schädigers bezieht: zB das Eingreifen der schadensverlagernden Norm ist ja kein Zufall!
II. Gesetzliche Ansätze für eine Drittschadensliquidation.
Rn 102
Das Privatrecht enthält immerhin einige Ansätze für die Drittschadensliquidation. So verlangt § 700 I wegen der vom Gast eingebrachten und dann beeinträchtigten Sachen nicht, dass diese dem Gast gehört haben; der Gast kann also den Schaden des dritten Eigentümers geltend machen. Noch deutlicher gibt § 421 I 2 HGB dem Empfänger das Recht, aus dem (idR vom Absender geschlossenen) Frachtvertrag zu klagen; dabei kann er ebenso wie der Absender auch in fremdem Interesse handeln (§ 421 I 3 HGB).
III. Einzelne Fallgruppen nach Richterrecht.
1. Vereinbarungen.
Rn 103
Kraft der Vertragsfreiheit kann vereinbart werden, dass ein Vertragspartner einen Schaden Dritter soll geltend machen können. So hat RGZ 170, 246 eine Stadtgemeinde für berechtigt gehalten, die Schäden von Einlagerern geltend zu machen, deren Fleisch durch unsachgemäße Reparaturen in dem Städtischen Kühlhaus verdorben war. Ähnl hat BGH NJW 74, 502 [BGH 15.01.1974 - X ZR 36/71] für einen Lizenzvertrag entschieden, der einem Dritten bestimmte Exklusivrechte vorbehielt: Hier habe auch der Dritte geschützt werden sollen. Lange/Schiemann § 8 III 2 bemerken aber mit Recht, dass man heute dem Dritten wohl eigene Ansprüche aus einer Drittwirkung des Vertrages zu seinen Gunsten gewähren würde.
Rn 104
BGH NJW 58, 1838, 1839 hat allg anerkannt, dass sich eine Ermächtigung zur Geltendmachung fremden Schadens auch aus der Interessenlage ergeben kann.
2. Mittelbare Stellvertretung.
Rn 105
Bei der va im Handelsrecht verbreiteten mittelbaren Stellvertretung tritt der Vertreter zwar im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung (in fremdem Interesse) auf. Daher kann bei von ihm abgeschlossenen Geschäften eine Pflichtverletzung des anderen Teils va den dritten Interesseträger schädigen. Zur Abwicklung des von dem Stellvertreter abgeschlossenen Geschäfts gehört es dann auch, dass dieser den Schaden des Dritten geltend macht. RGZ 107, 132, 135 hat das so formuliert: Der Dritte sei der wirklich und endgültig Geschädigte, während der Handelnde nur nach außen hin zur Klage berufen sei. Dass dies rechtens ist, braucht nicht mehr weiter begründet zu werden; man darf es für Gewohnheitsrecht halten (Lange/Schiemann § 8 III 4). Es entspricht auch einer stRspr (etwa BGH NJW 89, 3099 für den Spediteur). Dagegen verneint BGHZ 133, 36, 41 die Drittschadensliquidation, wenn eine Auskunft für einen Dritten in verdeckter Stellvertretung eingeholt wird.
3. Treuhandverhältnisse.
Rn 106
Auch der Treunehmer klagt gegen Dritte, die das Treugut beeinträchtigen, aus eigenem Recht (zB Sicherungseigentum). Bei der Sicherungstreuhand nimmt er auch eigene Interessen wahr, weil er wegen des Sicherungszwecks zuglei...