I. Ausgangspunkt.
Rn 111
Bei der Berücksichtigung von Reserveursachen geht es idR ebenso wie bei den o Rn 48 ff behandelten Fragen um ein Kausalitätsproblem (bisweilen wohl auch bloß um die Schadensberechnung). Doch kann man dieses nicht eindeutig als eine normative Einschränkung des Schadensersatzes auffassen. Vielmehr kann man hierin uU auch eine Erweiterung der Ersatzpflicht finden, nämlich wenn man Reserveursachen schon nach § 249 I grds für beachtlich hält. Von der Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten (o. Rn 64) unterscheidet sich die Berücksichtigung von Reserveursachen dadurch, dass diese nicht in einem hypothetischen Sich-anders-Verhalten des Schädigers selbst bestehen, vgl Gebauer Hypothetische Kausalität als Haftungsgrund, 07.
II. Problembeschreibung.
Rn 112
Fraglich ist, ob sich der Schädiger darauf berufen kann, dass der von ihm zu verantwortende Schaden später aus einem anderen Grund (nämlich der Reserveursache) ohnehin eingetreten wäre. Das BGB gibt hierauf keine klare Antwort: Beim Ersatz der Bestattungskosten nach § 844 I bleibt außer Betracht, dass diese später allemal angefallen wären. Andererseits kann nach §§ 287 2, 346 III 1 Nr 2, 848 der Schädiger geltend machen, der Schaden würde auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten sein. Ähnl sind Spezialfälle in den §§ 565, 705 HGB, 44 BinnenSchG geregelt. Ein einheitliches Prinzip folgt hieraus nicht; man muss wohl unterscheiden.
III. Fallgruppen.
1. Anderer Ersatzpflichtiger.
Rn 113
Nicht streitig sind die Fälle, in denen die Reserveursache zur Ersatzpflicht eines Dritten geführt hätte: Das kann den realen Schädiger nicht entlasten, soweit er durch seine Schädigung das Wirksamwerden der Reserveursache und damit die Haftung des bloß hypothetisch gebliebenen dritten Schädigers verhindert hat (etwa BGHZ 29, 207, 215 f; NJW 67, 551, 552).
2. Anlagefälle.
Rn 114
Beachtlich sind dagegen Reserveursachen, die im Zeitpunkt der realen Schädigung bereits als Schadensursache angelegt waren. Dabei geht es va um Krankheiten (etwa BGH VersR 69, 802). Oder ein Notar zahlt zum Schaden einer Bank vorzeitig einen Betrag aus, den die Bank ohnehin aus einer Bürgschaft hätte zahlen müssen (BGH VersR 97, 371, 374).
3. Übrige Fälle.
Rn 115
In den übrigen Fällen unterscheidet die hM (hierzu mwN Staudinger/Schiemann Rz 97 ff) nach der Art des Schadens: Der schon fertig vorliegende Objektschaden (etwa durch Beschädigung eines Fahrzeugs) bleibt auch dann zu ersetzen, wenn es für ihn später eine Reserveursache gegeben hätte, die nicht schon in der Anlage vorhanden war (BGH NJW 94, 999, 1000 [BGH 01.02.1994 - VI ZR 229/92]). Dagegen kann ein Schaden, der sich erst im Lauf der Zeit entwickelt (va entgangener Gewinn), nicht ohne Rücksicht auf veränderte Umstände ermittelt werden (wie ja auch umgekehrt das Fortkommen berücksichtigt wird, § 842 I). In gleichem Sinn berücksichtigt § 844 II 1 die ›mutmaßliche Dauer seines (des Getöteten) Lebens‹, also gewissermaßen den natürlichen Tod als Reserveursache. Ebenso BGH DB 79, 352.
4. Zeitliche Grenze.
Rn 116
Reserveursachen können idR nicht mehr berücksichtigt werden, wenn der Schaden bezahlt, abgeurteilt oder verglichen worden ist. Dagegen bleiben bei Rentenansprüchen die Rechte aus § 323 ZPO erhalten (hM, etwa Grüneberg/Grüneberg vor § 249 Rz 63).
IV. Beweislast.
Rn 117
Die Beweislast für eine beachtliche Reserveursache trägt der Schädiger (BGH NJW 16, 3522; VersR 20, 1056, s.a. o Rn 65). Dagegen ist der Geschädigte beweisbelastet, wenn str ist, welches von zwei Ereignissen den Schaden real verursacht hat (BGH VersR 87, 179). Zur Abgrenzung der Reserveursache von der durch den Geschädigten zu beweisenden Schadensentstehung BGHZ 175, 58 Tz 20 ff.