1. Allgemeines.
Rn 4
Die Vermutung in 2 gleicht weitgehend dem § 287 I ZPO (vgl Vor § 249 Rn 9). Die ›freie Überzeugung‹ von § 287 I 1 ZPO führt nämlich kaum zu einem anderen Ergebnis als zu dem in 2 geforderten Wahrscheinlichkeitsurteil (BGHZ 29, 393, 398f).
Rn 5
Hinsichtlich des für die Erwartung maßgeblichen Zeitpunktes verweist der Wortlaut von 2 auf die Vergangenheit (›erwartet werden konnte‹). Das müsste wohl der Zeitpunkt des Schadensereignisses sein. Doch widerspricht das der allg Regel von der Maßgeblichkeit des derzeitigen Wissensstandes (also in der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung). Daher legt die hM (etwa BGHZ 29, 393, 398; NJW 64, 661, 662; NJW 11, 1148) den 2 auch in dieser Hinsicht berichtigend aus: Entscheidend ist die Beurteilung aus der Sicht der Gegenwart.
2. Der gewöhnliche Lauf der Dinge.
Rn 6
Der gewöhnliche Lauf der Dinge bildet nach 2 die Grundlage für die Gewinnschätzung. Dieser braucht, eben weil er wahrscheinlich ist, vom Geschädigten nicht bewiesen zu werden (BGH NJW 64, 661, 663 [BGH 17.12.1963 - V ZR 186/61]). Insb liegt es nach BGH NJW 00, 3287, 3288 [BGH 06.06.2000 - VI ZR 172/99] und NRW-RR 16, 793 nahe, ›nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen‹. So kann davon ausgegangen werden, dass sich ein unfallbedingt entfallenes Einkommen in der Zukunft entspr der statistisch durchschnittlichen Entwicklung der Löhne gesteigert hätte (Jena NJW-Spezial 22, 266 [OLG Jena 09.02.2022 - 2 U 504/20]).
Rn 7
In manchen Situationen lässt sich freilich ein solcher gewöhnlicher Lauf der Dinge nicht feststellen. Das gilt etwa für die verhinderte Teilnahme an einem Preisausschreiben (BGH NJW 83, 442, 443; nicht einmal die Aufwendungen sollen hier als Mindestschaden angesetzt werden können). Auch bei einem Pferderennen gibt es keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Favorit gewonnen hätte (Ddorf NJW-RR 86, 517 [OLG Düsseldorf 12.07.1985 - 8 U 218/84]).
Rn 8
Nach der Rspr ermöglicht § 252 2 eine abstrakte Schadensberechnung (etwa RGZ 101, 217; BGH NJW 88, 2234, 2236 [BGH 02.03.1988 - VIII ZR 380/86]): Im Handelsverkehr entspreche es dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, dass ein Kaufmann Marktgängige Ware zum Marktpreis hätte verkaufen können; das Vorhandensein eines Abnehmers brauche nicht nachgewiesen zu werden. Während aber das RG aaO 219 f einen Gegenbeweis (Mangel der Verkaufsabsicht) nicht zugelassen hat, entscheidet der BGH aaO 2236 f und auch schon in NJW 64, 661, 662 f entgegengesetzt. Damit sind die Bedenken der Lit (etwa Steindorff AcP 158, 58/59, 431; Knobbe-Keuk VersR 76, 411) weitgehend ausgeräumt: Die sog abstrakte Schadensberechnung reduziert sich auf die Anwendung von § 252 2. Weiter geht nur § 376 III HGB für den Fixhandelskauf.
3. Die besonderen Umstände.
Rn 9
Die Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Laufs endet, wenn ein anderer Verlauf nach den besonderen Umständen erwartet werden konnte. Als Beispiele nennt 2 die ›getroffenen Anstalten und Vorkehrungen‹. Danach kann der gewöhnlich zu erwartende Gewinn sowohl über- wie auch unterschritten werden. Je nachdem, welches Ziel erstrebt wird, liegt hier die Beweislast bei dem Geschädigten oder dem Schädiger.
Rn 10
Zu den getroffenen Vorkehrungen gehört insb der Beginn einer Ausbildung. Hier sollen an die Behauptungs- und Beweislast wenigstens dann keine hohen Anforderungen gestellt werden, wenn der Geschädigte sich noch am Anfang seiner beruflichen Entwicklung befindet (BGH NJW 00, 3287, 3288, vgl Steffen DAR 94, 1 ff; Medicus DAR 94, 442 ff). So hat der BGH aaO einer (auch wohl nur vorübergehend) berufsunfähig gewordenen 17-Jährigen unterstellt, sie hätte ohne den Unfall eine Lehre als Pferdewirtin begonnen, diese erfolgreich absolviert und danach das durchschnittliche Einkommen einer Pferdewirtin erzielt. Allgemein könne bei jüngeren Menschen ohne konkrete Anhaltspunkte angenommen werden, sie würden auf Dauer die ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten für eine gewinnbringende Erwerbstätigkeit nutzen (BGH aaO; vgl auch Rostock ZfS 21, 678 [OLG Rostock 11.06.2021 - 5 U 55/17] zur Prognose einer verunfallten 16-Jährigen). Ähnl hat schon BGH NJW 98, 1633, 1634 [BGH 17.02.1998 - VI ZR 342/96] für einen verhinderten Fußballtrainer entschieden. Insb sollen die §§ 252, 842 auch den Verzögerungsschaden umfassen, der durch die vom Schadensereignis verursachte Verspätung des Berufseintritts oder des beruflichen Fortkommens entsteht (BGH NJW 00, 3287, 3288 [BGH 06.06.2000 - VI ZR 172/99] mN). Für die Prognose eines vereitelten Berufswunsch können indiziell Beruf und Ausbildung der Familienangehörigen (Eltern, Geschwister) herangezogen werden (BGH NJW 11, 1148 [BGH 05.10.2010 - VI ZR 186/08]).
Auch ansonsten gilt bei einer dauerhaft unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit, dass der hypothetische weitere Verlauf zu prognostizieren ist; Unsicherheiten in der Prognose kann durch einen prozentualen Abschlag Rechnung getragen werden (BGH NJW 11, 1146). Die Rspr nimmt nach dem sog Kontinuitätsprinzip an, dass jedenfalls der derzeitige E...