Rn 13
Der Genugtuungsfunktion steht indes oft entgegen, dass die große Mehrzahl der Verletzungsfälle über Haftpflichtversicherer abgewickelt wird, so dass der Verletzer selbst das höhere Schmerzensgeld nicht zu spüren bekommt; diese Funktion ist (außer bei Vorsatztaten, grober Fahrlässigkeit und im Fall verzögerter Regulierung durch die Versicherung, hierzu Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 11. Aufl 22, Rz 1152; zur Genugtuung in der Arzthaftung BGH NJW 22, 1443 [BGH 08.02.2022 - VI ZR 409/19]) inzwischen weithin aufgegeben worden. Maßgebend ist daher insbesondere die Ausgleichsfunktion, also die Berücksichtigung von Art und Umfang der erlittenen Verletzungen, Intensität der Schmerzen, Umfang und Anzahl operativer Maßnahmen, eine etwaige stationäre Behandlung, das Alter des Verletzten (zum Kinderunfall Hamm VersR 11, 1195 m.Anm. Luckey; entgegen vielfacher Tendenzen ist ein hohes Alter des Verletzten nicht mindernd zu berücksichtigen, da gerade die Beeinträchtigung des Lebensabends besonderes Gewicht haben mag), Dauerschäden (berufliche Beeinträchtigungen, Behinderungen, Verlust von Gliedern, Einschränkungen im Sexualleben), psychische Beeinträchtigungen und Schäden sowie entgangene Lebensfreuden. Was sich an Gerechtigkeit bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erreichen lässt, ist außer einer absolut angemessenen Höhe bloß eine vernünftige Abstufung nach Umfang und Dauer der Beeinträchtigung sowie eine Gleichbehandlung gleichliegender Fälle. Das Schmerzensgeld wird so zum ›case law‹ (zur Bedeutung von Präjudizien bei der Bemessung vgl Luckey FS Eggert [08], 181). Hierbei ist, schon wegen der Geldentwertung, aber auch aus vielen anderen Gründen, darauf zu achten, dass die herangezogene Vergleichsentscheidung nicht zu alt ist (ausf Frankfurt NJW-RR 09, 1684 [OLG Karlsruhe 24.06.2009 - 7 U 58/09]).
Rn 14
Daraus erklärt sich die in der Praxis große Bedeutung der Schmerzensgeldtabellen: Etwa Hacks/Wellner/Häcker, 40. Aufl 22; Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeldtabelle, 18. Aufl 22; Jaeger/Luckey, 11. Aufl 22 (mit umfassendem Kommentarteil). Bei dem Vergleich mit älteren Entscheidungen ist die inzwischen eingetretene Geldentwertung zu berücksichtigen. Derzeit liegen die Schmerzensgelder etwa zwischen 50 (u. Rn 15) und 1 Mio Euro. Dem Versuch einer tabellarischen Berechnung des Leidens und seiner Dauer (›taggenaue Bemessung‹, Frankf NJW 19, 442 [OLG Frankfurt am Main 18.10.2018 - 22 U 97/16] unter Berufung auf Schwintowski/Schah-Sedi/Schah-Sedi, Hdb Schmerzensgeld), hat nicht nur die obergerichtliche Rspr, vgl die Nachweise bei Luckey NJW 19, 3361; Luckey JR 19, 311; Jaeger VersR 21, 84, sondern auch BGH NJW 22, 1953; 22, 1957 eine Absage erteilt. Angesichts dessen, dass die Prämisse (der geldmäßigen Bewertung des Leidens ›pro Tag‹ und ›pro Intensität‹) ihrerseits letztlich nach Billigkeit erfolgt ist, mag es sich nur um eine Scheingenauigkeit handeln.