1. Formulierung.
Rn 10
Nach II sollen Verletzte ›auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist‹, eine ›billige Entschädigung in Geld‹ verlangen können. Dabei ist die Formulierung für die zu entschädigenden Nachteile ganz weit; sie geht erheblich über körperliche Schmerzen hinaus. Berücksichtigt werden die Schwere der Verletzungen, die Dauer des Leidens, der Verlauf des Heilungsprozesses und etwaige Dauerschäden (Narben). Insb umfasst sie auch Unbehagen, Wesensänderungen, Ängste; überhaupt den Entgang von Lebensfreude durch Freizeiteinbußen oder den Verlust der Fähigkeit, eigenen Neigungen nachzugehen (zB Sport, Musik usw) oder den Verlust der Wahrnehmungsfähigkeit (zB Erblindung). Im Gegensatz dazu werden materielle Nachteile, zB beim Erwerbsleben, nicht aus § 253 ersetzt, sondern aus §§ 249, 252, 842, 843.
2. Funktion der Entschädigung.
Rn 11
Der BGH hatte als Zweck des Schmerzensgeldes zunächst die Ausgleichsfunktion betont: Die Bemessung sollte nur Intensität und Dauer der erlittenen Beeinträchtigung berücksichtigen; sie sollte dem Geschädigten gleichsam ein Äquivalent an Lebensfreude gewähren (BGHZ 7, 223, 226, 229). An dieser Entscheidung war gewiss richtig, dass sie eindringlich auf die Bedeutung immaterieller Schäden und ihrer Entschädigung hingewiesen hat.
Rn 12
Trotzdem hat schon wenig später der GSZ (BGHZ 18, 149) entgegengesetzt entschieden: Das Schmerzensgeld könne nicht allein nach dem Ausgleichsgedanken bemessen werden; man könne nicht ›sozusagen die Schmerzen mit den Freuden saldieren, durch die der Verletzte die Erinnerung an die Schmerzen tilgen soll‹. Zu berücksichtigen sein könnten vielmehr unter dem Gesichtspunkt der Genugtuung auch der Grad des Verschuldens beim Schädiger, der Anlass der Schädigung oder eine anstößig verzögernde Regulierung des Schadens. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten sind einer Berücksichtigung nicht von vornherein entzogen, spielen aber regelmäßig keine relevante Rolle (BGH VersR 17, 180).
3. Bemessung.
Rn 13
Der Genugtuungsfunktion steht indes oft entgegen, dass die große Mehrzahl der Verletzungsfälle über Haftpflichtversicherer abgewickelt wird, so dass der Verletzer selbst das höhere Schmerzensgeld nicht zu spüren bekommt; diese Funktion ist (außer bei Vorsatztaten, grober Fahrlässigkeit und im Fall verzögerter Regulierung durch die Versicherung, hierzu Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 11. Aufl 22, Rz 1152; zur Genugtuung in der Arzthaftung BGH NJW 22, 1443 [BGH 08.02.2022 - VI ZR 409/19]) inzwischen weithin aufgegeben worden. Maßgebend ist daher insbesondere die Ausgleichsfunktion, also die Berücksichtigung von Art und Umfang der erlittenen Verletzungen, Intensität der Schmerzen, Umfang und Anzahl operativer Maßnahmen, eine etwaige stationäre Behandlung, das Alter des Verletzten (zum Kinderunfall Hamm VersR 11, 1195 m.Anm. Luckey; entgegen vielfacher Tendenzen ist ein hohes Alter des Verletzten nicht mindernd zu berücksichtigen, da gerade die Beeinträchtigung des Lebensabends besonderes Gewicht haben mag), Dauerschäden (berufliche Beeinträchtigungen, Behinderungen, Verlust von Gliedern, Einschränkungen im Sexualleben), psychische Beeinträchtigungen und Schäden sowie entgangene Lebensfreuden. Was sich an Gerechtigkeit bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erreichen lässt, ist außer einer absolut angemessenen Höhe bloß eine vernünftige Abstufung nach Umfang und Dauer der Beeinträchtigung sowie eine Gleichbehandlung gleichliegender Fälle. Das Schmerzensgeld wird so zum ›case law‹ (zur Bedeutung von Präjudizien bei der Bemessung vgl Luckey FS Eggert [08], 181). Hierbei ist, schon wegen der Geldentwertung, aber auch aus vielen anderen Gründen, darauf zu achten, dass die herangezogene Vergleichsentscheidung nicht zu alt ist (ausf Frankfurt NJW-RR 09, 1684 [OLG Karlsruhe 24.06.2009 - 7 U 58/09]).
Rn 14
Daraus erklärt sich die in der Praxis große Bedeutung der Schmerzensgeldtabellen: Etwa Hacks/Wellner/Häcker, 40. Aufl 22; Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeldtabelle, 18. Aufl 22; Jaeger/Luckey, 11. Aufl 22 (mit umfassendem Kommentarteil). Bei dem Vergleich mit älteren Entscheidungen ist die inzwischen eingetretene Geldentwertung zu berücksichtigen. Derzeit liegen die Schmerzensgelder etwa zwischen 50 (u. Rn 15) und 1 Mio Euro. Dem Versuch einer tabellarischen Berechnung des Leidens und seiner Dauer (›taggenaue Bemessung‹, Frankf NJW 19, 442 [OLG Frankfurt am Main 18.10.2018 - 22 U 97/16] unter Berufung auf Schwintowski/Schah-Sedi/Schah-Sedi, Hdb Schmerzensgeld), hat nicht nur die obergerichtliche Rspr, vgl die Nachweise bei Luckey NJW 19, 3361; Luckey JR 19, 311; Jaeger VersR 21, 84, sondern auch BGH NJW 22, 1953; 22, 1957 eine Absage erteilt. Angesichts dessen, dass die Prämisse (der geldmäßigen Bewertung des Leidens ›pro Tag‹ und ›pro Intensität‹) ihrerseits letztlich nach Billigkeit erfolgt ist, mag es sich nur um eine Scheingenauigkeit handeln.
4. Einzelfragen.
Rn 15
Bei nach Intensität und Dauer geringfügigen Beeinträchtigungen kann ein Schmerzensgeld ganz entfallen (etwa BGH NJW 93, 2173, 2175 [BGH 27.05.1993 - III ZR 59/92]...