1. Die Mitwirkung bei der Verursachung des Schadens, Abs 1.
Rn 14
Wo es gesetzliche Verhaltenspflichten gibt, wie für den Straßenverkehr, fällt deren schuldhafte Nichteinhaltung idR (nämlich bei Mitursächlichkeit) unter § 254 (bzw § 9 StVG). Doch kann selbst eine schuldlose Nichteinhaltung die maßgebliche Betriebsgefahr erhöhen (zur Möglichkeit der Anrechnung einer verschuldensunabhängigen Betriebsgefahr nach § 254 vgl Rn 33, 36). Diese tritt aber bei Auffahrunfällen idR zurück, wenn der Geschädigte verkehrsgerecht gebremst hat (BGH NJW 88, 58 [BGH 07.04.1987 - VI ZR 30/86], freilich noch zu § 7 II StVG aF). Selbst eine Überschreitung der in der VO vom 21.11.78 (BGBl I 1824) bloß empfohlenen Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen (130 km/h) kann über eine Erhöhung der Betriebsgefahr die Mithaftung nach § 17 StVG begründen (BGHZ 117, 337). Bei ausreichenden Anhaltspunkten für eine Gefahr ist besondere Vorsicht anzuwenden (etwa BGH NJW 85, 482: Vereisung eines Weges bei Frost). Fußgänger müssen zum Überqueren der Fahrbahn einen nahegelegenen Fußgängerübergang benutzen (BGH VersR 77, 337). Sicherheitsgurte und Sturzhelme sind anzulegen (§ 21a I, II StVO), das Nichttragen eines Fahrradhelms begründet kein Mitverschulden, weil erst der Verstoß gegen ein allgemeines Verkehrsbewusstsein dahingehend, dass diese Sicherungsmaßnahme geboten sei, ein Mitverschulden begründen könne; ›derzeit‹ gäbe es eine solche allgemeine Überzeugung hinsichtlich des Tragens von Radhelmen aber nicht (BGH NJW 14, 2493 [BGH 17.06.2014 - VI ZR 281/13]). OLG Nürnberg (NJW 20, 3603 [OLG Nürnberg 20.08.2020 - 13 U 1187/20]) hat auch für das Jahr 2020 die Existenz einer solch allgemeinen Überzeugung weiterhin verneint.
Rn 15
Aber auch außerhalb gesetzlicher Vorschriften kommt ein Mitverschulden durch die Verletzung bloßer Obliegenheiten in Betracht; das Verschulden ist dann ein sog Verschulden gegen sich selbst (BGH WM 11, 1529). Ein Bsp bildet schon der eben genannte, einen gesicherten Übergang verschmähende Fußgänger. Eine Anspruchskürzung wegen Verstoßes gegen eine Sicherungsobliegenheit zulasten eines aufgrund einer Behinderung auf einen Rollstuhl angewiesenen Menschen setzt aber voraus, dass die fragliche Obliegenheit für Rollstuhlfahrer zum Zeitpunkt des Unfalls nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz geboten war, sonst verletzt sie Art 3 Abs 3 S 2 GG (BVerfG NJW 16, 3014 [BVerfG 10.06.2016 - 1 BvR 742/16]).
Rn 16
Obliegenheiten finden sich in fast allen Lebensbereichen. So darf man sich auf eine mündliche Auskunft nicht verlassen, die im Widerspruch zu gleichzeitig ausgehändigten schriftlichen Unterlagen steht (BGH NJW 80, 2576 [BGH 17.04.1980 - III ZR 167/78]). Der Bankkunde muss seine Scheckformulare sorgsam aufbewahren (RGZ 81, 254) und den Verlust der Formulare oder der Scheckkarte rasch anzeigen (BGH NJW 68, 37 [BGH 18.10.1967 - Ib ZR 169/65]). Seine Kontobewegungen muss er überwachen (BGH NJW 68, 742 [BGH 08.02.1968 - II ZR 217/66]). Auch müssen wertvolle Sachen sorgfältig behütet werden (BGH NJW 69, 789 [BGH 29.01.1969 - I ZR 18/67]). Die Aufzählung solcher Obliegenheiten lässt sich fast beliebig fortsetzen.
Rn 17
Es gibt aber auch einen wichtigen Bereich, in dem Obliegenheiten weitgehend verneint werden: Wer beruflich Rat zu erteilen oder Fristen zu überwachen hat, darf nicht erwarten, dass der Gläubiger dem Rat misstraut oder die Fristwahrung selbst überwacht (BGH NJW 92, 307; WM 11, 1529; VersR 11, 132). Dies gilt auch ggü behördlichen Auskünften (BGH NJW 80, 2576, 2577).
2. Die Warnungsobliegenheit aus Abs 2 S 1 Alt 1.
Rn 18
Die Frage, ob ein ungewöhnlich hoher Schaden droht, kann regelmäßig nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei ist maßgeblich auf die Sicht des Schädigers abzustellen und auch zu berücksichtigen, welche Höhe vergleichbare Schäden erfahrungsgemäß – also nicht nur selten – erreichen (BGH NJW-RR 10, 909 [BGH 21.01.2010 - I ZR 215/07]. Eine Obliegenheit zur Warnung nach II 1 kommt nur in Betracht, wenn die Beteiligten sich irgendwie nahe stehen. Das kann auf einem Vertrag beruhen (zB Warnung des Wartungspflichtigen vor dem ungewöhnlich hohen Ausfallschaden einer Druckerei, Hamm NJW-RR 98, 380 [OLG Hamm 17.06.1996 - 13 U 30/96]). Die Nähe kann weiter aus der schon entstandenen Schadensersatzpflicht stammen, zB Warnung an den Verursacher eines Unfalls, der Geschädigte könne die Reparaturkosten nicht aufbringen und müsse bei Ausfall des Fahrzeugs hohen Schaden fürchten (Schlesw VersR 67, 68 [OLG Schleswig 11.10.1986 - 1 U 27/66]). Die Nähe kann endlich auch daraus stammen, dass ein konkreter Schaden droht. So muss der Betreiber einer Schifffahrtsstraße darauf hinweisen, dass wegen Bauarbeiten große Schäden durch Schleifenlassen des Ankers drohen (BGH NVZ 88, 94).
Rn 19
Die Warnpflicht entfällt, wenn der Ersatzpflichtige den Schaden ebenso gut voraussehen konnte (BGH VersR 53, 14). Ebenso entfällt sie, wenn die Warnung erfolglos geblieben wäre (BGH DB 56, 110 [BGH 16.12.1955 - I ZR 65/54]; VersR 94, 380, doch geht es hier wohl eher um das Fehlen der Ka...