Prof. Dr. Brigitta Zöchling-Jud
Gesetzestext
(1) Gegenüber der Klage des Gläubigers hat die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts nur die Wirkung, dass der Schuldner zur Leistung gegen Empfang der ihm gebührenden Leistung (Erfüllung Zug um Zug) zu verurteilen ist.
(2) Auf Grund einer solchen Verurteilung kann der Gläubiger seinen Anspruch ohne Bewirkung der ihm obliegenden Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung verfolgen, wenn der Schuldner im Verzug der Annahme ist.
Rn 1
Die Regelung der ›Wirkung des Zurückbehaltungsrechts‹ in § 274 ist unvollständig (AnwK/Schmidt-Kessel § 274 Rz 1), weil sie nur die Auswirkungen auf die Erfüllungsklage des Gläubigers (§ 274 I) und die Vollstreckung aus dem Zug-um-Zug-Titel betrifft. Die sonstigen Wirkungen der Erhebung der Zurückbehaltungseinrede, nämlich die rechtsgestaltende Wirkung, die den Anspruch des Gläubigers mit dem des Schuldners dahingehend verknüpft, dass der Schuldner nur noch zur Zug-um-Zug-Leistung verpflichtet ist, ergibt sich (mittelbar) aus § 273 (s § 273 Rn 19).
Rn 2
§ 274 I transportiert die materiellrechtliche Wirkung der Einrede des Zurückbehaltungsrechts (Verknüpfung der Ansprüche zur Zug-um-Zug-Erfüllung) in das Prozessrecht und bestimmt die Wirkungen im Erkenntnisverfahren (MüKoBGB/Krüger § 274 Rz 1). Das der Klage stattgebende Urteil hat bei Erhebung der Einrede auf Leistung Zug-um-Zug gegen Erfüllung der Gegenleistung zu lauten. Technisch handelt es sich aber auch bei der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts im Prozess um eine Einrede. Das Zurückbehaltungsrecht wird also nicht vAw wahrgenommen, sondern muss vom Beklagten geltend gemacht werden. Nicht erforderlich ist, dass der Beklagte formell einen Antrag auf Verurteilung Zug-um-Zug stellt; es reicht aus, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Beklagte das Zurückbehaltungsrecht geltend machen will (BGH NJW-RR 86, 992 [BGH 29.04.1986 - IX ZR 145/85]; Grüneberg/Grüneberg § 274 Rz 1). Selbst die außergerichtlich erhobene Einrede reicht aus, wenn dieser Umstand in den Prozess einfließt (Staud/Bittner/Kolbe § 274 Rz 5; MüKoBGB/Krüger § 274 Rz 4).
Rn 3
Die Verurteilung Zug-um-Zug gegen Empfang der Gegenleistung ist ggü der unbeschränkten Verurteilung ein minus, kein aliud (Grüneberg/Grüneberg § 274 Rz 2; Staud/Bittner/Kolbe § 274 Rz 6). Besteht der Kläger trotz der Zurückbehaltungseinrede auf eine unbeschränkte Verurteilung, so wird die Klage teilweise abgewiesen (BGHZ 117, 3) mit der Folge, dass die Kosten nach § 92 ZPO zu teilen sind (Staud/Bittner/Kolbe § 274 Rz 6; MüKoBGB/Krüger § 274 Rz 7).
Rn 4
Die Zwangsvollstreckung aus einem auf Leistung Zug-um-Zug lautenden Urteil richtet sich nach den §§ 726 II, 756, 765 ZPO, die durch § 274 II ergänzt werden (Staud/Bittner/Kolbe § 274 Rz 11). Das Zug-um-Zug-Urteil gibt zunächst einmal nur dem Gläubiger die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, nicht aber dem zurückhaltenden Schuldner (AnwK/Schmidt-Kessel § 274 Rz 10). Die Vollstreckung setzt aber den Beweis voraus, dass der Gegenanspruch des Schuldners erfüllt ist oder der Schuldner hinsichtlich der Gegenleistung in Annahmeverzug ist (§ 274 II). Dabei kommt dem Nachweis der Erfüllung der Gegenforderung oder des Annahmeverzugs entscheidende Bedeutung zu (AnwK/Schmidt-Kessel § 274 Rz 11), der sich nach den §§ 756, 765 ZPO richtet: Der Nachweis muss regelmäßig durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden erbracht werden; bei Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher kann der Annahmeverzug durch diesen begründet werden (AnwK/Schmidt-Kessel § 274 Rz 11). Der Gläubiger kann den erforderlichen Nachweis aber auch dadurch erbringen, dass er vor oder während des Prozesses den Annahmeverzug herbeiführt und im Erkenntnisverfahren einen entspr Feststellungsantrag stellt (MüKoBGB/Krüger § 274 Rz 10). Das Feststellungsurteil erfüllt die Beweisform (BGH NJW 10, 2503 [BGH 10.03.2010 - VIII ZR 182/08]), doch reicht es auch aus, wenn sich der Annahmeverzug aus den Urteilsgründen ergibt (Köln JurBüro 89, 873; Grüneberg/Grüneberg § 274 Rz 4).