Rn 4
Das materielle Recht (zu vollstreckungsrechtlichen Grenzen s §§ 887, 888 ZPO sowie Neufang Erfüllungszwang 278 ff) muss berücksichtigen, dass sich der Erfüllung Hindernisse entgegenstellen können, die für den Schuldner unüberwindbar sind und die deshalb einer Durchsetzung, insbes einer gerichtlichen Durchsetzung, des Anspruchs auf Naturalerfüllung Schranken setzen müssen. Das SchRModG hat diese Sachfrage allg in dem neugefassten § 275 zu lösen versucht (zur Vorgeschichte; Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 470): Der Erfüllungsanspruch entfällt oder ist undurchsetzbar; darin liegt auch die grds Zuweisung der Leistungsgefahr an den Gläubiger. Die Vorschrift ist freilich durch bestimmte, am alten Recht orientierte Ausdifferenzierungen eher schwer verständlich und bereitet auch in der praktischen Anwendung Schwierigkeiten. Umso wichtiger ist es, bei der Auslegung von § 275 darauf zu achten, dass die Grundidee der ursprünglichen Vorschläge erhalten geblieben ist.
Rn 5
Die Vorschrift behandelt nur die Grenzen von Ansprüchen auf Erfüllung in Natur und lässt die jeweils zugrunde liegenden Pflichten unberührt (s Rn 14 f). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 275 I, der nicht mehr davon spricht, dass der Schuldner ›von der Verpflichtung zur Leistung frei‹ wird (§ 275 I aF), sondern ausdrücklich den Anspruch auf die Leistung ausschließt. Der (unvollständige) § 275 IV hat demggü nur deklaratorische Bedeutung (s Rn 14). Die dem Erfüllungsanspruch gezogenen Grenzen sind nach den Wirkungen des bestehenden Hindernisses abgestuft: Schließt dieses die Erbringung der Leistung überhaupt oder auch nur für den Schuldner aus, besteht der Erfüllungsanspruch nach I nicht (Unmöglichkeit); stehen die zur Erfüllung erforderlichen Aufwendungen wirtschaftlich außer Verhältnis zum Interesse des Gläubigers, kann der Schuldner die Erfüllung in Natur nach II einredeweise verweigern (wirtschaftliche Unzumutbarkeit); III enthält ein entspr Verweigerungsrecht in Fällen der persönlichen Unzumutbarkeit. Anders als nach § 306 aF kann Unmöglichkeit auch nicht mehr zur Nichtigkeit des Vertrags führen, § 311a I; das hat auch zur Folge, dass eine rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses (BAG AP BGB § 615 Nr 145 Rz 21) oder eine rückwirkende Vertragsänderung (BAG NJW 10, 3180 [BAG 04.05.2010 - 9 AZR 155/09] Rz 17) möglich sind und damit auch entspr Verurteilungen. An der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung für die Vergangenheit (s Rn 8) ändert dies nichts.
Rn 6
§ 275 erfasst schon seinem Wortlaut nach auch Teilstörungen. Der Schuldner kann dann Naturalerfüllung auch nur für den Teil verweigern, dessen Erfüllung unmöglich oder unzumutbar ist, respective geworden ist; Ausnahmen sind die rechtliche Unteilbarkeit (BGH NJW 00, 1256 [BGH 21.01.2000 - V ZR 387/98]) oder die tatsächliche Sinnlosigkeit der Teilleistung (BGH NJW-RR 95, 853, 854 [BGH 17.02.1995 - V ZR 267/93]). Ist die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit nur eine vorübergehende, kann nach ihrer Behebung wieder Naturalerfüllung verlangt und durchgesetzt werden. Das ergibt sich freilich nicht aus § 275 I (BGH NJW 07, 3777 [BGH 19.10.2007 - V ZR 211/06] Rz 24 f; Jauernig/Stadler § 275 Rz 10; aA offenbar BAG NZA-RR 08, 418 [BAG 13.12.2007 - 6 AZR 197/07] Rz 24; BAG AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr 12 Rz 15), sondern erst aus einer entspr Anwendung der Vorschrift (BGH NJW 13, 3437 [BGH 12.03.2013 - XI ZR 227/12]; aA Kaiser FS Hadding 121 ff). Freilich kann ein nur vorübergehendes Leistungshindernis gleichwohl endgültige Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit bewirken, etwa bei einem absoluten Fixgeschäft, wenn der Leistungstermin verstrichen und wegen des Charakters als absolutes Fixgeschäft Nachholung der Leistung nicht möglich ist (s Rn 8). Ebenso kann das Verstreichen des Leistungstermins zu einer signifikanten Absenkung des Gläubigerinteresses oder erheblichen Steigerung des Aufwands für die Nachholung iS von § 275 II führen (s Rn 8, Rn 27); nur in seltenen Fällen wird insoweit noch ein Rückgriff auf § 275 I in Betracht kommen (ungenau Karlsr NJW 05, 989, 990 [OLG Karlsruhe 14.09.2004 - 8 U 97/04]). Bei Geldschulden kommt eine Anwendung von § 275 nicht in Betracht, solange nicht die Vertrags- und Zahlungswährung ohne rekurrenten Anschluss entfällt (vgl Kähler AcP 206 [2006] 805, 821 ff, der zusätzlich die Fälle einer bestimmten Finanzierungsquelle und der absoluten Fixschuld nennt, die freilich kaum einmal eingreifen werden); die Herausgabe eines Surrogats nach § 285 (BGHZ 140, 223, 239f) oder des durch den Beauftragten Erlangten nach § 667 (BGHZ 165, 299, 301) ist keine Geldschuld idS. Keine eigenständige Kategorie, sondern schlicht irreführend ist die sog qualitative Unmöglichkeit (s Lorenz JZ 01, 742, 743). Tatsächlich geht es auch insoweit um den Ausschluss von Erfüllungsansprüchen, welche sich auf die Beseitigung von Qualitätsdefiziten beziehen (dazu Schall NJW 11, 343).