Rn 7
Nach § 275 I kann ein Anspruch auf Naturalerfüllung nicht durchgesetzt werden, wenn die Leistung in Natur entweder ›für jedermann‹, also objektiv, oder ›für den Schuldner‹, also subjektiv, unmöglich ist. Die Unmöglichkeit kann faktische oder rechtliche Gründe haben. Ob der Schuldner sie verursacht und/oder zu verantworten hat, spielt hier keine Rolle. Unerheblich ist auch, ob die Unmöglichkeit bei vertraglichen Pflichten bereits bei Abschluss des Vertrages, also anfänglich, bestand oder nachträglich eingetreten ist. Alle diese nach altem Recht wichtigen Distinktionen haben für die aus § 275 I folgende Undurchsetzbarkeit des Anspruchs auf Naturalerfüllung ihre Bedeutung verloren. Ist eine angemessene Nachfrist gesetzt und verstrichen, kommt es für den Rücktritt und den Schadensersatz statt der Leistung auf die Voraussetzungen des § 275 nicht mehr an (s § 281 Rn 15, § 283 Rn 4). Bei § 311a II geht es richtigerweise nur noch um einen besonderen Haftungsstandard für bei Vertragsschluss vorliegende Pflichtverletzungen (s § 276 Rn 17). Ob die Leistung jedermann oder dem Schuldner unmöglich ist, richtet sich allein nach dem vertraglich Geschuldeten. Maßgeblich ist daher primär der Parteiwille (BGH NZBau 16, 213 [BGH 22.10.2015 - VII ZR 58/14] Rz 13–21; Himmelschein AcP 135 [1932] 255, 282). So vermag dieser etwa beim Stückkauf dem Käufer die Neulieferung zu eröffnen, obwohl dies mit der Qualifikation als Stückkauf nur schwer zu vereinbaren ist (BGH BB 06, 1984, 1986 [BGH 07.06.2006 - VIII ZR 209/05]; s § 243 Rn 2). Beim Gebrauchtwagenkauf begründet die mangelnde Herstellbarkeit des Originalzustands idR keine Unmöglichkeit der Herstellung von Mangelfreiheit (BGH NJW 09, 2807 [BGH 20.05.2009 - VIII ZR 191/07] Rz 8). Kann ein Arbeitnehmer aus Gesundheitsgründen nicht in Nachtschicht arbeiten, ergibt sich daraus keine (Teil-)Unmöglichkeit, wenn der Einsatz in der Tagschicht möglich bleibt (BAG NZA 14, 719 [BAG 09.04.2014 - 10 AZR 637/13] Rz 27). Soweit § 275 I Umsetzungsrecht ist (s Rn 3), ist das Tatbestandsmerkmal Unmöglichkeit richtlinienkonform auszulegen (unrichtig Jaensch NJW 12, 1025, 1027 [dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen]).
I. Fallgruppen.
Rn 8
Von Bedeutung sind zum einen diejenigen Fälle, in denen die Leistung nach den Naturgesetzen oder nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erbracht werden kann (naturgesetzliche oder physische Unmöglichkeit). Paradigmatisch dafür steht der Untergang des Vertragsgegenstands, etwa der Kauf- oder Mietsache (BGHZ 2, 268, 270 [Kaufsache]; Karlsr NJW-RR 95, 849 [Mietsache]), oder die fehlende technische Realisierbarkeit der Leistung (BGH NJW 14, 3365 [BGH 08.05.2014 - VII ZR 203/11] Rz 23). Das Versiegen der einzig möglichen Bezugsquelle für die geschuldete Ware begründet ebenfalls Unmöglichkeit und schließt also den Erfüllungsanspruch aus (RGZ 57, 116, 119). Dasselbe gilt für den Ausfall des Schuldners bei höchstpersönlich zu erbringenden Leistungen (RGZ 5, 278, 279; LG Berlin, NJW 63, 513), jedoch ohne Höchstpersönlichkeit nicht schon bei Erfüllungsübernahme durch einen Dritten (s BVerwG BeckRS 11, 49318 Rz 19 ff). § 275 I ist daher einschlägig, wenn der AN aufgrund einer Erkrankung tatsächlich nicht arbeiten kann. Ist der AN krankgeschrieben, obwohl er (auf Kosten seiner Gesundheit) arbeiten könnte, ist umstritten, ob § 275 I oder § 275 III greift (s NK-BGB/Dauner-Lieb § 275 Rz 36). Jedenfalls während der Wiedereingliederung nimmt das BAG (NZA 19, 1348 [BAG 16.05.2019 - 8 AZR 530/17] Rz 21) eine Befreiung von der arbeitsvertraglichen Leistungspflicht nach § 275 I an. Hingegen gehören die früher hier vielfach diskutierten Fälle der Pflichtenkollisionen, soweit diese nicht schon die dem Anspruch zu Grunde liegende Pflicht selbst ausschließen, und Gewissenskonflikte (vulgo ›sittliche‹ oder ›moralische Unmöglichkeit‹) in den Anwendungsbereich von § 275 III (s Rn 30). Der Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers kann wegen fehlender Möglichkeit einer leidensgerechten Beschäftigung ausgeschlossen sein (LAG Hamm BeckRS 06, 40900 Rz 60 ff, nv (juris) [Markumar-Patient; iE verneint]). Der Anspruch auf Arbeitsleistung ist bei Annahmeverzug des ArbG nach unwirksamer Kündigung unmöglich (BAG NZA 18, 646). Die Erfüllung eines Versprechens zum Einsatz magischer Fähigkeiten ist aus Sicht des Rechts tatsächlich unmöglich (BGH NJW 11, 756 Rz 10 [aber Risikoübernahme iSv § 326 II]; krit Anm Schermaier, JZ 11, 633 [BGH 13.01.2011 - III ZR 87/10]). Hingegen begründet die Vergabe einer Domain an einen Dritten keine tatsächliche Unmöglichkeit (BGH NJW 13, 152 [BGH 25.10.2012 - VII ZR 146/11] Rz 32). Bei Pflichten zum Unterlassen begründet die Zuwiderhandlung Unmöglichkeit jedenfalls für den Zeitraum der Zuwiderhandlung (BAG NZA 15, 1253 [BAG 07.07.2015 - 10 AZR 260/14] Rz 29: für ein vertragliches Wettbewerbsverbot). Schließlich zählt hierher auch das Verstreichen des maßgeblichen Zeitpunkts oder Zeitraums bei nicht nachholbaren Leistungen, insbes beim absoluten Fixgeschäft (BGHZ 60, 14, 1...