Rn 14
Die Unmöglichkeit begründet eine Einwendung (verkannt durch LAG Hamm 20.12.05 – 19 Sa 1375/05 Rz 55 f, nv (juris)); sie ist also vAw zu beachten (Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 275 Rz 77). Das hat tlw zu der Formulierung geführt, der Schuldner würde im Falle der Unmöglichkeit ›von seiner Pflicht befreit‹ (Grüneberg/Heinrichs § 275 Rz 1; nunmehr anders Grüneberg/Grüneberg § 275 Rz 1). Soweit man dabei im Auge behält, dass nur der dem Anspruch des Gläubigers auf Naturalerfüllung korrespondierende Teilaspekt der Pflicht des Schuldners gemeint sein kann, ist es unschädlich, den Schuldner insoweit (evtl nur temporär) befreit zu sehen. Zuweilen lassen die diesbezüglichen Aussagen aber erkennen oder doch vermuten, dass die Autoren noch dem dogmatischen Konzept des § 275 aF und dem va in § 306 aF festgeschriebenen Grundsatz, dass bei Unmöglichkeit überhaupt keine Pflicht des Schuldners (mehr) besteht, folgen (s etwa Pfeiffer ZGS 02, 23, 28). Erfüllungspflicht und Obligation werden damit wieder gleichgesetzt, obwohl sie durch die Reform entkoppelt werden sollten (Lorenz/Riehm Rz 318, 319). § 275 IV benennt eine Reihe der Rechtfolgen, ist jedoch nicht abschließend; der Absatz ist ohne eigenen Regelungsgehalt (aA Kaiser FS Hadding 121, 136).
Rn 15
Der Fortbestand der dem Anspruch zugrunde liegenden Pflicht erklärt einige Konsequenzen, welche sich über den Ausschluss des Erfüllungsanspruchs hinaus ergeben und vermeidet überflüssige Hilfskonstruktionen: Der Anspruch auf ein Surrogat (stellvertretendes commodum) nach § 285 setzt einen Fortbestand der Schuldnerpflicht voraus (s § 285 Rn 1). Da die Pflichtverletzung Grundvoraussetzung (auch) für andere Rechtsbehelfe des Gläubigers ist, könnte nicht gleichzeitig der Wegfall der Schuldnerpflicht angenommen, aber gleichwohl Rücktritt erklärt oder Schadensersatz wegen ihrer Verletzung verlangt werden (s aber Pfeiffer ZGS 02, 23, 28 [›Begrifflich seltsame, aber gewollte Konsequenz‹]), wie § 275 IV ausdrücklich vorsieht. Schließlich verschärft die unterschiedliche Behandlung der Rechtsfolgen aus § 275 I, wenn man hier einen Wegfall der Schuldnerpflicht annehmen müsste, und § 275 II, III, wo der Konstruktion der Verteidigungsmöglichkeit des Schuldners als Einrede (s Rn 28, Rn 29) zweifellos Fortbestand der Pflicht zugrunde liegt, die Notwendigkeit der Grenzziehung zwischen I einerseits und II andererseits (dazu Rn 19).
Rn 16
Die Pflicht des Schuldners besteht nicht nur fort, das die Unmöglichkeit begründende Hindernis löst zudem regelmäßig weitere Pflichten aus. Diese sind – entspr Art 79 I CISG – darauf gerichtet, das Hindernis zu umgehen oder jedenfalls dessen Folgen zu vermeiden. Können etwa Passagiere eines Flugs aus technischen Gründen nicht befördert werden, entstehen für die Fluggesellschaft Betreuungs-, Fürsorge- und Unterstützungspflichten, die auch die Organisation einer anderweitigen Beförderung einschließen (s Kobl MDR 07, 1351 [BGH 22.06.2007 - V ZR 269/06]). Eine solche Erfüllungsalternative zu der an sich geschuldeten Erfüllungsart setzt allerdings voraus, dass diese disponibel ist. Das ist nicht der Fall, wenn das Gesetz die Erbringung einer bestimmten Leistung und nur dieser Leistung vorschreibt (BSG BeckRS 16, 73044, Rz 39 [Pflicht der Bank zur Rentenrücküberweisung nach § 118 III 2 SGB VI auf das Rentenkonto beschränkt]).
Rn 17
Die Einwendung nach § 275 I führt beim gegenseitigen Vertrag grds zum Erlöschen des Anspruchs auf die Gegenleistung nach § 326 I (s § 326 Rn 8 ff). Außerdem macht der Ausschluss des Erfüllungsanspruchs nach §§ 283, 326 V sonst möglicherweise erforderliche Fristsetzungen entbehrlich (s § 283 Rn 1); dasselbe gilt für § 311a II, sofern man in der Vorschrift zu Unrecht eine eigene Anspruchsgrundlage sieht (vgl Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 575 ff sowie § 276 Rz 14). Über die in § 275 IV genannten Rechtsfolgen hinaus begründet § 275 I für Verspätungsschäden nach §§ 280 I, II, 286 die Entbehrlichkeit der Mahnung (s § 286 Rn 23).