Rn 25
Das BGB kennt eine Reihe schärferer Haftungsstandards, welche vom Schuldner mehr verlangen als die Fahrlässigkeit. Tlw wird eine Verschärfung bereits durch eine Beweislastumkehr erreicht (s § 280 Rn 24). Als haftungsverschärfend wird regelmäßig auch § 278 angesehen (etwa NK/Dauner-Lieb § 276 Rz 18; Jauernig/Stadler § 276 Rz 9); tatsächlich handelt es sich aber darum, den Schuldner an einer Haftungsentlastung durch Delegation zu hindern (Schmidt-Kessel Standards vertraglicher Haftung 410; s § 278 Rn 1). Neben diesen Elementen findet sich jedoch eine Reihe echter Haftungsverschärfungen. Diese können sich aus Gesetz oder aus dem entspr auszulegenden Vertrag ergeben. Zu den Fällen einer fahrlässigkeitsunabhängigen Haftung zählt auch § 181 1 GWB (BGH WM 08, 494 Rz 22 ff [zu § 126 1 GWB aF]). Der Gedanke einer Haftung nach Risikosphären oder Gefahrenbereichen hat bislang va iRd AGB-Kontrolle eine Rolle gespielt (BGHZ 114, 138, 243 ff [Missbrauchsrisiko bei Kreditkarten]; BGHZ 115, 38, 45 [Risiko der Geschäftsunfähigkeit des Kunden]; BGHZ 119, 152, 168 f [verschuldensunabhängige Haftung des Mieters für Schäden der Mietsache]). Hingegen liegt das für § 87a III HGB relevante Nichterreichen der Mindestteilnehmerzahl einer Reise nicht im Risikobereich des Veranstalters (BGH NJW 14, 930 [BGH 23.01.2014 - VII ZR 168/13] Rz 14 ff).
Rn 26
Unabhängig davon, worauf sich eine Haftungsverschärfung gründet, kann sich der Gläubiger auf diese nicht berufen, wenn er die haftungsbegründende Situation durch vertragswidriges Verhalten erst herbeigeführt hat (s RGZ 96, 6, 10 sowie § 242 Rn 42). Dafür genügt freilich noch nicht, dass der Gläubiger bei Vertragsschluss ein bestimmtes Risiko bereits kennt, so die Auslegung ergibt, dass es der Schuldner – gleichwohl – übernommen hat (vgl BGH NJW 72, 1702, 1703 [BGH 12.07.1972 - VIII ZR 200/71]; BGH LM § 279 Nr 4; Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 276 Rz 161). Ist der Schuldner hingegen auf Grund mangelnder Kooperation des Gläubigers daran gehindert, seine Pflicht zu erfüllen, haftet er nicht (Schlesw OLGR 06, 345 Rz 23 ff [Kontoänderung ohne Mitteilung an den Schuldner]; Kähler AcP 206 [2006] 805, 831).
I. Übernahme von Beschaffungsrisiken.
Rn 27
Hat der Schuldner ein Beschaffungsrisiko übernommen, haftet er für die davon erfassten Pflichtverletzungen unabhängig von Fahrlässigkeit (Staud/Löwisch/Caspers [2009] § 276 Rz 154). Die Übernahme von Beschaffungsrisiken geschieht durch ausdrückliche Vereinbarung, aber va auch durch Auslegung oder Ergänzung eines Schuldverhältnisses nach §§ 157, 242 (s § 157 Rn 15 ff, § 242 Rn 26). Damit besteht hier eine Einfallspforte für rechtspolitisch erwünschte Haftungsverschärfungen, etwa um das deutsche Schuldrecht an internationale Standards heranzuführen, aber auch für die Korrektur von Haftungsabschwächungen durch § 311a II 2 (s.o. Rn 17).
Rn 28
Eine Übernahme eines Beschaffungsrisikos ist regelmäßig bei Gattungsschulden anzunehmen (NK/Dauner-Lieb § 276 Rz 28; Derleder NJW 11, 113, 114 f; aA nunmehr Heckel JZ 12, 1094, 1099), solange es Gegenstände der Gattung, aus der der Schuldner zu leisten hat, noch gibt. Ergibt sich aus dem Vertrag eine Einschränkung der Verpflichtung auf bestimmte Teilmengen einer Gattung, etwa auf einen bestimmten Vorrat (NK/Dauner-Lieb § 276 Rz 32), eine bestimmte Produktions quelle oder bestimmte Herstellungskapazitäten (Schmidt-Kessel Standards vertraglicher Haftung 71 ff), dann ist die Nichtbeschaffung keine Pflichtverletzung, und der Schuldner kann nicht nur nicht auf Erfüllung in Anspruch genommen werden (s § 243 Rn 8), sondern haftet auch nicht auf Schadensersatz. Vertretenmüssen ist im Hinblick auf die Nichtbeschaffung nicht mehr zu prüfen; hinsichtlich der Nichtlieferung ist es ausgeschlossen. Auch bei Stückschulden ist die Vereinbarung eines Beschaffungsrisikos möglich (Grüneberg/Grüneberg § 276 Rz 30). Ohne besondere Vereinbarung wird dies aber kaum der Fall sein (Karlsr NJW 05, 989, 990 [OLG Karlsruhe 14.09.2004 - 8 U 97/04]).
Rn 29
Der Schuldner kann entlastet sein, soweit eine Leistungsstörung nicht mit der Eigenart der Übernahme des Risikos, aus der Gattung beschaffen zu können, zusammenhängt. Außer im Fall des Gläubigerfehlverhaltens (Rn 26) kann dies je nach Auslegung des Vertrags und der darin enthaltenen Risikoübernahme zB bei Krankheit oder unverschuldeter Freiheitsbeschränkung des Schuldners (RGZ 99, 1, 2; Coester-Waltjen AcP 183 [1983] 279, 289) oder bei höherer Gewalt (vgl BGH NZM 15, 481 Rz 38) der Fall sein. Das Beschaffungsrisiko wird regelmäßig außerdem solche Verzögerungen nicht erfassen, die durch überraschende und vom Schuldner auch sonst nicht zu vertretende Notwendigkeiten einer Neu- oder Ersatzbeschaffung entstehen. Freizeichnung durch eine sog Selbstbelieferungsklausel (›rechtzeitige und richtige Selbstbelieferung vorbehalten‹) ist grds zulässig (BGHZ 92, 396, 399; zu Grenzen ausf Derleder NJW 11, 113, 114 ff). Schließlich kann der Schuldner einer Gattungsschuld jedenfalls von der Verpflichtung zur Naturalerfüllung entlastet sein, wenn ...