I. Schuldverhältnis.
Rn 9
Die Haftung nach § 280 I setzt – anders als § 823 – ein bestehendes Schuldverhältnis voraus (s Rn 1). Dieses beherrscht – ggf in den Grenzen der Parteiautonomie – den gesamten weiteren Tatbestand. Das Schuldverhältnis begründet und begrenzt die aus ihm abgeleiteten Pflichten. So ergibt sich – ohne Annahme einer Dauerbeziehung – aus einem abgegrenzten Vertrags- oder sonstigem Schuldverhältnis keine Pflicht für ein bestimmtes Verhalten iR eines künftigen neuen Schuldverhältnisses (BGH NZBau 12, 652 [BGH 05.06.2012 - X ZR 161/11] Rz 15 [Verwendung vergaberechtswidriger Vertragsbedingungen in etwaigen zukünftigen Vergabeverfahren]). (Vorläufiger) Rechtsschutz lässt sich daher erst erreichen, sobald der nächste geschäftliche Kontakt iSv § 311 II begonnen hat.
II. Pflichtverletzung.
Rn 10
Pflichtverletzung ist die unberechtigte Abweichung einer Partei vom Vertragsprogramm respective Programm des Schuldverhältnisses. Sie ist Voraussetzung für sämtliche Rechtsbehelfe. Erforderlich ist daher zunächst die Feststellung des Vertragsprogramms mit den einzelnen Pflichten der Parteien, worin eine Hauptaufgabe bei der Anwendung der Vorschrift liegt (s den notwendig rudimentären Katalog Rn 66–86). Primär sind dafür die Abreden zwischen den Parteien in den Blick zu nehmen und auszulegen. Ggf kann eine richterliche Vertragsergänzung angebracht sein, und schließlich ist auf die gesetzlichen und richterrechtlich entwickelten allgemeinen oder vertragstypspezifischen Pflichten zurückzugreifen (s Rn 11–17). Neben den im Gesetzestext fixierten Pflichten ist daher auf die langen Kataloge der Kommentierungen der alten positiven Vertragsverletzung und von § 242 zurückzugreifen. Anders als manche Kommentierungen dies suggerieren (s insb Grüneberg/Grüneberg § 280 Rz 12), unterscheidet § 280 nicht nach verschiedenen Pflichtentypen. Entspr Einteilungen (s Rn 11–17) haben lediglich heuristischen Wert (generell zur Pflichtverletzung Vor § 275 Rn 5–8). Nach Feststellung des Pflichtenprogramms werden das Verhalten der Parteien und die erreichten Erfolge an diesem Programm gemessen.
Rn 11
Als Pflichten iSv § 280 sind zunächst diejenigen zu nennen, welche den Kern des betreffenden Schuldverhältnisses ausmachen und dieses charakterisieren. Diese sind nur tlw gesetzlich niedergelegt und eben vom jeweiligen Vertragstyp abhängig. Dementspr ist auf die einzelnen Kommentierungen zu verweisen: s § 433 Rn 13 f, 30 f, § 481 Rn 1 ff, § 488 Rn 1 f, § 516 Rn 1, § 535 Rn 37, § 581 Rn 1 ff, § 585; § 598 Rn 1, § 607 Rn 2, § 611 Rn 1, § 631 Rn 19 f, 30 f, § 651a Rn 21, § 652 Rn 27, 31 f, § 655a Rn 2, § 662 Rn 1, § 675 Rn 8, § 677 Rn 1, § 688 Rn 1, § 705 Rn 21 ff, § 765 Rn 1, § 818 Rn 3. S außerdem für das Leasing § 535 Rn 9.
Rn 12
Unabhängig von den typenspezifischen Pflichten und damit von allgemeiner Bedeutung sind va drei Gruppen von Pflichten: Pflichten zur begleitenden Information des anderen Teils (Rn 13), Pflichten betreffend den Rechtsgüterschutz des anderen Teils (Schutzpflichten; Rn 15) sowie Pflichten betreffend die Vertragstreue (Rn 17). Diese Gruppen überschneiden sich sämtlich in gewissen Teilbereichen mit den jeweils maßgebenden charakteristischen Pflichten und auch insoweit haben die Abgrenzungen va heuristischen Wert.
Rn 13
Leistungsbegleitende Nebenpflichten können etwa auf Mitwirkung an einer Vertragsanpassung gerichtet sein (BGH MDR 11, 1468 zum gesetzlichen Fall des § 313 I). Regelmäßig sind sie jedoch auf Anleitung, Aufklärung, Warnung, Hinweise und andere Arten informierender Kooperation gerichtet. Wegen der großen Nähe zur Leistungsbeschreibung, gibt es regelmäßig – je nach Vertragstyp unterschiedlich große – Abgrenzungsschwierigkeiten (BGHZ 107, 331, 336 ff; 132, 175, 178 [jeweils Weiterbelieferung in einer Dauerlieferbeziehung ohne Hinweis auf Änderung der Beschaffenheit]; BGH NJW 97, 3227; BGH NJW 99, 3192 [jeweils Falschberatung über Verwendungsmöglichkeiten der Leistung]; BGH WM 02, 875 [unterbliebener Hinweis, dass Werkleistung noch nicht fertig gestellt]). Soweit Überschneidungen bestehen, haben Sonderregeln zur Mangelhaftigkeit von Leistungen als lex specialis Vorrang (s Jauernig/Stadler § 280 Rz 15); die Formulierung der Nebenpflicht kann dann bei der Konkretisierung von § 276 II wieder aufscheinen (richtig Jauernig/Stadler § 280 Rz 15). Tw hat der Gesetzgeber die Regeln der Vertragswidrigkeit bewusst auf vormalige Nebenpflichten erstreckt (zu Montageanleitungen s § 434 IV Nr 2; anders für eine Bedienungsanleitung BGHZ 47, 312); die Rspr folgt diesem Trend (BGH NJW 10, 2503 Rz 18 [falsche Übernahmeerklärung als nicht vertragsgemäß iSv § 323 I Alt 2]). Die praktische Spitze der Einordnungsfrage sind die Verjährung (vgl §§ 438, 634a), die unterschiedlichen Schwellen in § 281 I 2 u 3 (s § 281 Rn 28–35) sowie die Anwendung der Fristsetzungserfordernisse nach §§ 281 I 2, 323 I (vgl BGH NJW 10, 2503 [BGH 10.03.2010 - VIII ZR 182/08] Rz 18).
Rn 14
Bei Dienstleistungen und Arbeitsverträgen werden leistungsbegleitende Nebenpflichten häufig nicht von Sonderrege...