Rn 12
Fristsetzung, dh eine letzte Chance für den Schuldner, kann in bestimmten Situationen entbehrlich sein, so dass sofort mit Eintritt der zu vertretenden Pflichtverletzung Schadensersatz statt der Leistung verlangt werden kann. Die einschlägigen Fallkonstellationen entsprechen weitestgehend denjenigen beim Rücktritt (s § 323 Rn 29 sowie Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 519 ff). Das in der Entbehrlichkeit der Fristsetzung verschlüsselte besondere Gewicht der Vertragsstörung nach § 323 I, muss erst recht die Beseitigung des Vorrangs der Naturalerfüllung ggü dem Schadensersatz nach sich ziehen. Zugleich steht hinter vielen Fällen der Entbehrlichkeit der Gedanke, dass eine Fristsetzung dann auch sinnlos, eine ›nutzlose Förmelei‹, wäre (s Naumbg NJW 04, 2022). Die einschlägigen Regelungen sind va in den §§ 281 II, 282, 283 enthalten; darüber hinaus finden sich einige weitere Regelungen. Die Fristsetzung ist schließlich auch dann entbehrlich, wenn sie von den Parteien wirksam abbedungen worden ist (BGH NJW 16, 2645 [BGH 24.02.2016 - VIII ZR 38/15] Rz 50).
a) Gesetzlich genannte Fälle.
Rn 13
§ 281 II Alt 1 ordnet dies zunächst für den Fall der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Schuldner an; eine Fristsetzung wäre in diesem Fall überflüssig (BGH NJW 02, 1571, 1573 [BGH 07.03.2002 - III ZR 12/01]). Hier sind – va an die Endgültigkeit der Verweigerung – strenge Anforderungen zu stellen, die jedoch im Blick auf die Aufwertung des Schadensersatzanspruchs ggü dem alten Recht (s dazu BGHZ 104, 6, 13; 115, 286, 297) etwas zu lockern sind (anders offenbar Bambg DAR 06, 456, 457); jedenfalls kann die Verweigerung konkludent erfolgen (s BGH MDR 06, 677, 678). Aus dem Verhalten des Schuldners muss deutlich werden, dass er sich über das Erfüllungsverlangen des Gläubigers im Klaren ist und seine Weigerung gewissermaßen ›sein letztes Wort‹ ist (BGHZ 193, 315 Rz 21; BGH NJW 13, 1431 [BGH 07.03.2013 - VII ZR 162/12] Rz 36); bei der Räumpflicht nach § 546 genügt dafür der Auszug ohne Anstalten zur Räumung (BGH NZM 10, 403 [BGH 18.02.2010 - III ZR 295/09] Rz 34). Grds muss die Verweigerung vor einer Mängelbeseitigung oder sonstigen Ersatzvornahme durch den Gläubiger erfolgen; das spätere Verhalten des Schuldners kann insoweit nur als Indiz für eine frühere Verweigerung dienen (BGH NJW-RR 09, 667 [BGH 20.01.2009 - X ZR 45/07]).
Rn 14
Ausreichend sind die ernsthafte Erklärung des Schuldners, den Vertrag zu beendigen (s BGH NJW 00, 506, 507 [BGH 22.10.1999 - V ZR 401/98]), die Stellung eines Antrags auf Klageabweisung (BGH NJW 84, 1460 [BGH 08.12.1983 - VII ZR 139/82]), sofern sich dieser auf die Erfüllung selbst und nicht etwa auf die Kosten der Selbstvornahme bezieht (Celle ZGS 06, 428, 429), oder das Bestreiten, Vertragspartei zu sein (s BGH NJW 05, 1348 [in casu verneint]). Nicht ausreichend ist hingegen das schlichte Bestreiten eines Mangels als Verweigerung der Nachbesserung (BGH BB 06, 686, 689 [BGH 21.12.2005 - VIII ZR 49/05] [weitere Umstände erforderlich]) oder die Ankündigung, den Leistungstermin nicht einhalten zu können (Hamm NJW-RR 96, 1098 [OLG Hamm 23.02.1996 - 33 U 67/95]; anders bei § 286 II Nr 3 Rn 20); letzteres gilt freilich nicht, wenn die angekündigte Verspätung die – sonst zu setzende – angemessene Frist übersteigt (BGH NJW-RR 03, 13 [BGH 12.09.2002 - VII ZR 344/01]). Die Erklärung des Gebrauchtwagenvermittlers, ein Mangel falle nicht unter die vereinbarte Garantie, genügt nicht als Verweigerung der Nacherfüllung (BGH NJW 05, 1348f [BGH 23.02.2005 - VIII ZR 100/04]). Die Verweigerung vor Fälligkeit genügt (Jauernig/Stadler § 281 Rz 9). Nach zutreffender Auffassung kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner berechtigterweise verweigert hat (s Jauernig/Stadler § 281 Rz 9), sofern ein Verweigerungsrecht, etwa §§ 273, 320, nicht bereits die Pflichtverletzung als solche ausschließt (BGH NJW 13, 1431 Rz 20). Damit kommt § 281 II Alt 1 insbes auch dann zur Anwendung, wenn sich der Schuldner – zu Recht oder zu Unrecht – auf ein Hindernis iSv § 275 I–III beruft (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 520; aA Herresthal Jura 08, 561, 567; Punkt übergangen bei BGH NJW 13, 370 [BGH 11.10.2012 - VII ZR 179/11] Rz 8). Auch der bloße Rechtsirrtum bei der Erhebung einer nicht gegebenen Einrede genügt, wenn weitere Umstände, etwa die Uneinsichtigkeit des Vertragspartners, hinzukommen (BGH NJW 13, 1431 [BGH 07.03.2013 - VII ZR 162/12] Rz 38).
Rn 15
Entbehrlich ist die Fristsetzung außerdem, wenn dem Schuldner eine Einwendung oder Einrede nach § 275 zusteht, § 283 (s § 283 Rn 1). Freilich ist diese Vorschrift weitgehend entbehrlich, weil in der Berufung des Schuldners auf § 275 stets eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung zu sehen ist. Praktische Relevanz entfaltet § 283 allenfalls dann, wenn sich der Schuldner auf einen Fall des § 275 I nicht beruft; bei den Einreden nach § 275 II und III ist die Berufung auf die Unzumutbarkeit hingegen ohnehin erforderlich, so dass § 281 II Alt 1 stets erfüllt ist...