Rn 12
Regelmäßig genügt nach § 286 I Fälligkeit der Forderung allein nicht, um aus der Säumnis rechtlich Verzug werden zu lassen. Der Gläubiger muss vielmehr dem Schuldner nach Eintritt der Fälligkeit (zu Ausnahmen s BGH NJW-RR 21, 737 [BGH 27.04.2021 - VIII ZB 44/20] Rz 18) durch eine Mahnung deutlich machen, dass die Säumnis für ihn nachteilige Folgen haben kann (zu EU-rechtlichen Bedenken Gebauer/Wiedmann/Schmidt-Kessel Verzug Rz 19). Die Mahnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Aufforderung, die geschuldete Leistung zu erbringen (Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 662). Der Streit, ob die Mahnung eine Willenserklärung oder eine geschäftsähnliche Handlung (hA: BGH NJW 87, 1546, 1547) ist, darf als theoretisch offenbleiben, weil auch bei Annahme einer geschäftsähnlichen Handlung die Vorschriften über Willenserklärungen analog anzuwenden sind (BGHZ 47, 352, 357). Die Mahnung muss daher zugehen, kann ggf angefochten werden (s Schlechtriem/Schmidt-Kessel Schuldrecht AT Rz 662) und ist auch bei Erklärung durch einen Minderjährigen nach § 107 wirksam, weil sie ihm lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt (Köln NJW 98, 320 [OLG Köln 23.09.1997 - 14 UF 105/97]). Bei Stellvertretung gelten die Regeln des § 180 (BGH NJW 06, 687, 688 [Verneinung von Vertretungsmacht und Genehmigung in diesem Fall jedoch sehr zweifelhaft]). Eine vor Fälligkeit erfolgte Mahnung ist wirkungslos (BGHZ 103, 62, 66). Die Mahnung kann jedoch mit der die Fälligkeit begründenden Erklärung verbunden werden (RGZ 50, 255, 261; BGH NJW 10, 2940 [BGH 13.07.2010 - XI ZR 27/10] Rz 14) und wird regelmäßig in den Fristsetzungen nach § 281 I 1 oder § 323 I (s § 281 Rn 5, § 323 Rn 15 ff) zu sehen sein. Mit Zugang der Mahnung beginnt der Verzug (Schneider NJW 80, 1375).
Rn 13
Die Mahnung muss hinreichend bestimmt (anders bei unbestimmten Forderungen: BGH NJW-RR 90, 323, 325 [BGH 15.11.1989 - IVb ZR 3/89] [Schmerzensgeld]) und eindeutig sein sowie erkennen lassen, dass das Ausbleiben der Leistung Folgen haben kann (BGH NJW 98, 2132, 2133); sie muss sich auf die betreffende Forderung beziehen (BAG NZA 14, 787 [BAG 19.03.2014 - 5 AZR 954/12] Rz 54 [Aufforderung zur Gutschrift auf Arbeitszeitkonto keine Mahnung für späteren Zahlungsanspruch]). Als verzugsbegründende Mahnung genügt jede eindeutige und bestimmte Aufforderung, mit welcher der Gläubiger unzweideutig zum Ausdruck bringt, dass er die geschuldete Leistung verlangt (Jauernig/Stadler § 286 Rz 18); die erstmalige Rechnungszusendung ist jedoch – ohne Hinweis auf Verzugseintritt oder -wirkungen – keine Mahnung (BGH NJW 10, 2940 [BGH 13.07.2010 - XI ZR 27/10] Rz 18). Die Ankündigung bestimmter Rechtsnachteile oder gar eine Rechtsfolgenbelehrung ist nicht erforderlich (BGH NJW 98, 2132, 2133 [BGH 10.03.1998 - X ZR 70/96]); eine Ausnahme davon bildet § 38 I VVG. Die Anmahnung eines nur hilfsweise geltend gemachten Anspruchs ist möglich (BGH NJW 81, 1732 [BGH 09.04.1981 - IVa ZR 144/80]). Die Mahnung kann formlos (LG Frankfurt NJW 82, 650 [Versform]), uU auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen (BGHZ 80, 269, 277 und 96, 182, 194 [jeweils Vorlage des Wechsels zur Zahlung]; BGH NJW 85, 2526 [berechtigtes Nachlieferungsverlangen wegen Mangel der Kaufsache]). Bei § 536a I Var 3 soll die Mängelanzeige nach §§ 536c I 1, II 2 Nr 2 nicht genügen (s § 536a Rn 6 sowie Grüneberg/Weidenkaff § 536a Rz 12).
Rn 14
Die Mahnung muss sich grds auf den richtigen Umfang der Forderung beziehen; Mahnungen, mit denen zuviel gefordert wird, sind grds unwirksam (BGH NJW 06, 769 [BGH 05.10.2005 - X ZR 276/02]). Geringfügige Überschreitungen des geschuldeten Betrags sind mit Blick auf § 242 unschädlich (s BGH NJW 91, 1823 [BGH 18.01.1991 - V ZR 315/89]; abw BGH VersR 85, 533 [BGH 06.03.1985 - IVa ZR 52/83] [für die qualifizierte Mahnung nach § 39 I VVG aF = § 38 I VVG nF]). IÜ wirkt eine ›Zuvielmahnung‹ verzugsbegründend, wenn der Schuldner sie als Aufforderung zur Bewirkung des tatsächlich geschuldeten Betrags versteht oder verstehen muss und der Gläubiger zur Annahme des geringeren Betrags bereit ist (BGHZ 146, 24, 35; BGH NJW 06, 3271, 3272). Entspr gilt, wenn eine Leistung zu abweichenden Bedingungen angemahnt wird (BGH WM 89, 1897, 1898 [BGH 06.10.1989 - V ZR 283/86] [Leistung an Rechtsanwalt statt auf Notaranderkonto]). Ist der angemahnte Betrag zu gering, kann nur über diesen geringeren Betrag Verzug eintreten (BGH NJW 82, 1983, 1985 [BGH 26.05.1982 - IVb ZR 715/80]).
Rn 15
Der Mahnung gleichgestellt sind nach § 286 I 2 die Erhebung der Leistungsklage (§§ 253, 254 ZPO; s BGHZ 96, 182, 194) und die Zustellung eines Mahnbescheids (§§ 688 ff ZPO). Entscheidend ist jeweils, dass der betreffende Anspruch gerichtlich geltend gemacht wird; daran fehlt es bei der arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzklage hinsichtlich der Urlaubsansprüche (st Rspr zuletzt BAG AP BUrlG § 7 Nr 57 Rz 42). Bei der gerichtlichen Leistungsbestimmung nach § 315 III 2 wirkt erst die Rechtskraft des Gestaltungsurteils hinsichtlich der dadurch ...