Rn 24
Verzug tritt nicht ein, wenn der Schuldner die fehlende Rechtzeitigkeit der Leistung nicht zu vertreten hat, § 286 IV. Bereits aus dem Wortlaut des Abs ergibt sich, dass sich das Vertretenmüssen auf die Verzögerung bezieht und damit von den Voraussetzungen der I–III unabhängig ist (aA offenbar Erman/Hager § 286 Rz 56). Allerdings muss das Vertretenmüssen für den Eintritt der Verzugsfolgen andauern, was erst nach Eintritt der Voraussetzungen der I–III durch § 287 auch bei Zufall gewährleistet ist. Zuvor kommt – je nach Haftungsstandard – eine Entlastung durch Zufall noch in Betracht. Maßstab für das Vertretenmüssen ist grds § 276, bei vertraglichen Pflichten mE ev auch § 311a II 2 (der Sache nach auch BGH NJW 11, 2120 [BGH 10.02.2011 - VII ZR 53/10] Rz 16). Der Schuldner haftet also grds für vorsätzliche oder fahrlässige Verspätung der Leistung, doch kann seine Haftung gemildert, aber auch verschärft sein, zB aufgrund einer Garantie oder Übernahme eines Beschaffungsrisikos (§ 276 Rn 27–31) sowie insbes bei einer Geldschuld. Allgemein hat der Schuldner sein finanzielles Leistungsunvermögen zu vertreten (s § 276 Rn 32 sowie Coester-Waltjen AcP 183 [1983] 279, 287 f; grds aA Ahrens Der mittellose Geldschuldner 236). Leistet er mit Verzögerung, weil es ihm an Geldmitteln mangelt, dann hat er die Verzögerung zu vertreten (BGH BeckRS 14, 18459 Rz 5; zu Ausn s § 276 Rn 34). Auf einen Rechtsirrtum (s § 276 Rn 11) kann sich der Schuldner zwar berufen, doch muss er die Rechtslage sorgfältig prüfen (BGH NJW 15, 2419 [BGH 13.05.2015 - XII ZR 65/14] Rz 63) und ggf Rechtsrat einholen (BGH BB 06, 1819, 1820) oder beim Gläubiger rückfragen (BGH NJW 11, 2120 [BGH 10.02.2011 - VII ZR 53/10] Rz 16 ff [Untätigkeit des Bürgen bei unzureichender Information durch den Gläubiger]). Es kann ausreichen, sich auf höchstrichterliche Rspr zu berufen, wenn ihr ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liegt. Dass ein Instanzgericht die Auffassung des Schuldners teilt, entlastet diesen nicht (BAG NZA 21, 1488 [BAG 24.06.2021 - 5 AZR 385/20]). Unrichtige anwaltliche Auskunft muss sich der Schuldner über § 278 zurechnen lassen (BGH BB 06, 1819, 1820 [BGH 12.07.2006 - X ZR 157/05]; v Caemmerer FS Weitnauer, 266, 273 ff). Beruht die Leistungsverzögerung auf einem Fehler des Gläubigers, scheidet das Vertretenmüssen regelmäßig aus (s § 276 Rn 26); das gilt bei Zahlungen insbes, wenn der Gläubiger ein falsches Konto mitgeteilt hat (OLGR Schleswig 06, 345 Rz 24). Dasselbe kann gelten, wenn der Gläubiger durch eine übersetzte Rechnung Unklarheit über die tatsächliche Höhe der Forderung verursacht hat; die Regeln über die ›Zuvielmahnung‹ (Rn 14) gelten entspr (BGH BB 06, 1819 f [BGH 12.07.2006 - X ZR 157/05] [für einen Fall von § 286 II Nr 1]). Ist hingegen mit der Beseitigung eines verzugsausschließenden Zurückbehaltungsrechts jederzeit zu rechnen, entlastet den Schuldner das vorherige Fehlverhalten des Gläubigers auch bei einer Auslandsabwesenheit (BGH BeckRS 14, 18459 Rz 5). Entlastungsgründe, also etwa fehlendes Verschulden, hat der Schuldner zu beweisen, § 286 IV; die Beweislast ist in der Formulierung ›… nicht …, solange …‹ zum Ausdruck gebracht (BAG NZA-RR 2011, 531 Rz 49; zu den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Schuldners bei Bauzeitverzögerungen BGH NJW 16, 634 [BGH 05.11.2015 - VII ZR 43/15] Rz 24).
Rn 25
Im Anwendungsbereich der Zahlungsverzugsrichtlinie 2011/7/EU sind bei der Konkretisierung des Vertretenmüssens zusätzlich deren Anforderungen zu beachten: Deren Art 3 I lit. b und 4 I lit. b fordern für den Verzugseintritt zusätzlich, dass der Schuldner für die Verzögerung ›verantwortlich‹ ist. Die Mitgliedstaaten können also eine Entlastungsmöglichkeit für den Schuldner vorsehen, soweit diese dem Zweck der Richtlinie nicht zuwiderläuft. Der europäische Gesetzgeber hatte jedoch bei der Formulierung des Erfordernisses der Verantwortlichkeit des Schuldners Art 79 CISG im Blick (AnwK/Schulte-Nölke Verzugs-RL, Art 3 Rz 24; Leible in: Europäisches Vertragsrecht 151, 160; Gsell ZIP 99, 1281, 1282; Schulte-Braucks NJW 01, 103, 105). In der Literatur ist daher Streit darüber entstanden, ob dieser Standard eng iSd UN-Kaufrechts oder weit iSv § 276 aufzufassen ist. Die praktische Spitze hinsichtlich des anzuwendenden Maßstabs liegt in der Frage der Entlastung durch Rechtsirrtum (Gebauer/Wiedmann/Schmidt-Kessel Verzug Rz 25; s § 280 Rn 35; allg zum Rechtsirrtum s § 276 Rn 11): Die deutsche Rspr gewährt sie bislang in seltenen Fällen auch bei Zahlungsansprüchen (s Rn 24). Art 79 CISG böte hier hingegen keine Hilfe, da er ganz nach Art einer klassischen force majeure-Klausel nur bei externen Hindernissen entlastet (Schmidt-Kessel Standards vertraglicher Haftung, 433, 445f). Jedoch reicht die Prägung der Richtlinie durch Art 79 CISG nicht so weit, dass eine Entlastung wegen Rechtsirrtums gänzlich ausgeschlossen wäre.
Rn 26
Soweit es um den Ersatz eines Verzögerungsschadens geht, ergibt sich die Möglichkeit der Entlastung mangels Vertret...