Prof. Dr. Brigitta Zöchling-Jud
Gesetzestext
Der Gläubiger kommt nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 zu der für die Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außer Stande ist, die Leistung zu bewirken.
Rn 1
Ist die Leistung unmöglich (§ 275 I) oder hat der Schuldner die Leistung endgültig verweigert (§ 275 II, III), gelten die Regeln über den Ausschluss der Leistungspflicht und § 297 findet keine Anwendung (Staud/Feldmann § 297 Rz 1; differenzierend AnwK/Schmidt-Kessel § 297 Rz 1). § 297 bezieht sich daher nur auf die vorübergehende Unmöglichkeit und das vorübergehende Unvermögen (MüKoBGB/Ernst § 297 Rz 1): Kann der Schuldner die Leistung vorübergehend nicht erbringen, obwohl er leisten will, gerät der Gläubiger auch dann nicht in Verzug, wenn er eine erforderliche Mitwirkungshandlung nicht vorgenommen hat (BAG NJW 06, 1022 [BAG 13.07.2005 - 5 AZR 578/04]; Soergel/Schubel § 297 Rz 2). Die Leistungsfähigkeit kann dabei aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eingeschränkt sein (vgl zum Arbeitsrecht Dimsic DB 16, 2175; Boemke RdA 17, 192).
Rn 2
Bsp: Versäumt ein Schüler die festgesetzte Unterrichtsstunde, gerät er nicht in Verzug, wenn der Lehrer den Unterricht wegen Krankheit ohnehin nicht hätte erteilen können (Larenz-SchuldR § 25 I c); unterbleibt die Hausrenovierung, weil der Auftraggeber auf Urlaub ist, gerät er nicht in Verzug, wenn der Auftragnehmer die Leistung ohnehin nicht erbringen kann, weil er Baumaterial zu spät bestellt hat (vgl MüKoBGB/Ernst § 297 Rz 2); bei unwirksamer Eigenkündigung gerät der Arbeitgeber nicht in Verzug, weil der Arbeitnehmer nicht leistungswillig war (Spilger NZA 20, 357). Wird aber einem Lkw-Fahrer der Führerschein entzogen, kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug, wenn eine andere Beschäftigung möglich und zumutbar ist (BAG DB 87, 1359; allg Grüneberg/Grüneberg § 297 Rz 1; weitere Bsp bei Staud/Feldmann § 297 Rz 6 ff).
Rn 3
Maßgebender Zeitpunkt für die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Schuldners ist der Zeitpunkt des Angebotes (MüKoBGB/Ernst § 297 Rz 3), also beim tatsächlichen Angebot (§ 294) dessen Vornahme, beim wörtlichen Angebot (§ 295) der Zeitpunkt der Erklärung an den Gläubiger und im Fall des § 286 der für die Mitwirkungshandlung des Gläubigers maßgebende Zeitpunkt (AnwK/Schmidt-Kessel § 297 Rz 4).
Rn 4
Die Beweislast für das vorübergehende Unvermögen und die fehlende Leistungsbereitschaft des Schuldners trifft den Gläubiger (BAG BB 68, 1383; MüKoBGB/Ernst § 297 Rz 4; Staud/Feldmann § 297 Rz 28).