Prof. Dr. Brigitta Zöchling-Jud
Rn 5
Ist der Gläubiger im Verzug, weist ihm § 300 II die Leistungsgefahr zu. § 300 II gilt hinsichtlich aller Arten von Gattungsschulden, einschließlich der Vorratsschuld; eine entspr Anwendung ist bzgl der Geldschuld möglich (HP/Lorenz § 300 Rz 5). Betroffen ist aber ausschließlich die Leistungsgefahr, nicht dagegen die Preisgefahr, die von § 326 I, II erfasst wird (RG 103, 15; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 3). Insgesamt ist der Anwendungsbereich von § 300 II beschränkt, da die Leistungsgefahr bei Gattungsschulden bereits gem §§ 243 II, 275 durch Konkretisierung auf den Gläubiger übergeht, diese aber regelmäßig schon in dem Angebot des Schuldners zu sehen ist (Coester-Waltjen Jura 07, 831). Geht die ganze Gattung oder bei der Vorratsschuld der ganze Vorrat unter, wird der Schuldner nach § 275 von der Leistungspflicht befreit, so dass § 300 II ebenfalls unanwendbar ist. Nicht erfasst von § 300 II ist außerdem das Geldwertrisiko (AnwK/Schmidt-Kessel § 300 Rz 8).
Rn 6
§ 300 II kommt in den folgenden Fällen in Betracht: Wird der Gläubiger einer Bring- oder Schickschuld durch ein wörtliches Angebot nach § 295 oder durch ein fehlendes Erfordernis zum Angebot nach § 296 (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 6; HP/Lorenz § 300 Rz 6; aA Staud/Feldmann § 300 Rz 23; Erman/Hager § 300 Rz 8) in Annahmeverzug versetzt und hat die Konkretisierung des Leistungsgegenstandes bereits stattgefunden, wurde die Leistung dem Gläubiger aber nicht übermittelt, findet § 243 II keine Anwendung, so dass § 300 II eingreifen kann (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 6; HP/Lorenz § 300 Rz 6; Erman/Hager § 300 Rz 8; aA MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 4). Dies soll auch dann gelten, wenn der Annahmeverzug durch eine Unterlassung der Mitwirkungshandlung des Gläubigers verursacht wird (Staud/Feldmann § 300 Rz 18; HP/Lorenz § 300 Rz 6; aA Erman/Hager § 300 Rz 8; MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 4). Eine weitere Konstellation liegt nach hM in der Übermittlung eines Geldbetrags, der vom Gläubiger nicht angenommen wird und auf dem Rücktransport verloren geht oder gestohlen wird; aufgrund des § 270 I finde ein Gefahrübergang nach §§ 243 II, 275 auch hier nicht statt (Staud/Feldmann § 300 Rz 19; Erman/Hager § 300 Rz 8; HP/Lorenz § 300 Rz 6; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 7; aA MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 4). Als dritte Fallgruppe ist § 300 II bei einer vertraglichen Abbedingung des § 243 II anzuwenden (HP/Lorenz § 300 Rz 6; MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 4; Erman/Hager § 300 Rz 8).
Rn 7
Voraussetzung der Gefahrtragungsregel ist zum einen der Gläubigerverzug, der sowohl auf §§ 294, 295 als auch auf § 296 beruhen kann (Erman/Hager § 300 Rz 6; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 4), zum anderen die Aussonderung des Leistungsgegenstands (RG 57, 404; BGH WM 75, 920), unabhängig davon, ob dies für den Eintritt des Annahmeverzugs notwendig war (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 4). Eine Reihenfolge dieser beiden Bedingungen ist nicht vorgegeben, so dass die Aussonderung auch erst nach Eintritt des Annahmeverzugs erfolgen kann (BGH WM 75, 920; Erman/Hager § 300 Rz 6; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 4); eine gesonderte Benachrichtigung des Gläubigers über die erfolgte Aussonderung ist dabei nach mittlerweile wohl hM nicht erforderlich (Staud/Feldmann § 300 Rz 22; Erman/Hager § 300 Rz 6; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 4; aA RG 57, 404).