Prof. Dr. Brigitta Zöchling-Jud
Gesetzestext
(1) Der Schuldner hat während des Verzugs des Gläubigers nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
(2) Wird eine nur der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet, so geht die Gefahr mit dem Zeitpunkt auf den Gläubiger über, in welchem er dadurch in Verzug kommt, dass er die angebotene Sache nicht annimmt.
A. Normzweck.
Rn 1
§ 300 regelt einen Teil der Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs (§ 293 Rn 5). Im Gegensatz zum Schuldnerverzug löst der Gläubigerverzug grds keine Schadensersatzpflicht des Gläubigers aus, es sei denn, er gerät zugleich in Schuldnerverzug (§ 286) oder es ist ein Anspruch aus § 280 I gegeben (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 1; MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 1). § 300 I ordnet eine Haftungserleichterung für den Schuldner an, § 300 II regelt den Übergang der Leistungsgefahr bei Gattungsschulden.
B. Die Haftungserleichterung nach § 300 I.
Rn 2
Trotz des Annahmeverzugs des Gläubigers wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht nicht befreit (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 1). Ausnahmen von diesem Grundsatz ergeben sich aus dem Gesetz (§ 615, hierzu Schreiber JURA 09, 295) oder Treu und Glauben. Der Schuldner erhält aber grds nur die Möglichkeit, die Schuld nach §§ 372, 383, 303 zum Erlöschen zu bringen; ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht steht dem Schuldner nur zu, wenn im Verhalten des Gläubigers zugleich eine Pflichtverletzung liegt. § 300 I ordnet daher im Interesse des Schuldners eine Haftungserleichterung an; er hat im Gläubigerverzug nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
Rn 3
Die Haftungserleichterung bezieht sich auf den Untergang oder die Beschädigung des Leistungsgegenstandes, aber auch auf die in den Schranken des § 302 herauszugebenden Nutzungen (AnwK/Schmidt-Kessel § 300 Rz 3). § 300 I ist auf alle Schuldverhältnisse anwendbar (MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 2); einschließlich des Rückgewährschuldverhältnisses (RG 56, 270; Köln NJW-RR 95, 53; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 2) und der Obhutspflichten des Mieters (BGHZ 86, 208; HP/Lorenz § 300 Rz 3), Pächters oder Werkunternehmers (BGH MDR 58, 335; HP/Lorenz § 300 Rz 3; aA Soergel/Schubel § 300 Rz 10). Auch allenfalls konkurrierende Ansprüche aus unerlaubter Handlung fallen in den Anwendungsbereich (Köln NJW-RR 95, 53 [OLG Köln 06.06.1994 - 19 U 150/93]; MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 2). § 300 I kommt demgegenüber nicht zur Anwendung bei der Verletzung von Nebenpflichten iSd § 241 II (BGH LM § 651 Nr 3 Bl 2 R, Saarbr NJW-RR 02, 529 [OLG Celle 25.05.2000 - 14 U 34/99]; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 2; MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 2 mwN; aA RG 57, 107) oder bei Handlungspflichten wie Dienst- oder Arbeitsleistungen (AnwK/Schmidt-Kessel § 300 Rz 4).
Rn 4
Keine Auswirkung hat die Haftungsbeschränkung des § 300 I auf die Verteilung der Beweislast nach § 280 I 2. Der Schuldner trägt im Falle des Annahmeverzugs lediglich die Beweislast für solche Umstände, aus denen sich ergibt, dass weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Unmöglichkeit der Leistung führten (MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 3; Erman/Hager § 300 Rz 4).
C. Der Gefahrübergang nach § 300 II.
Rn 5
Ist der Gläubiger im Verzug, weist ihm § 300 II die Leistungsgefahr zu. § 300 II gilt hinsichtlich aller Arten von Gattungsschulden, einschließlich der Vorratsschuld; eine entspr Anwendung ist bzgl der Geldschuld möglich (HP/Lorenz § 300 Rz 5). Betroffen ist aber ausschließlich die Leistungsgefahr, nicht dagegen die Preisgefahr, die von § 326 I, II erfasst wird (RG 103, 15; Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 3). Insgesamt ist der Anwendungsbereich von § 300 II beschränkt, da die Leistungsgefahr bei Gattungsschulden bereits gem §§ 243 II, 275 durch Konkretisierung auf den Gläubiger übergeht, diese aber regelmäßig schon in dem Angebot des Schuldners zu sehen ist (Coester-Waltjen Jura 07, 831). Geht die ganze Gattung oder bei der Vorratsschuld der ganze Vorrat unter, wird der Schuldner nach § 275 von der Leistungspflicht befreit, so dass § 300 II ebenfalls unanwendbar ist. Nicht erfasst von § 300 II ist außerdem das Geldwertrisiko (AnwK/Schmidt-Kessel § 300 Rz 8).
Rn 6
§ 300 II kommt in den folgenden Fällen in Betracht: Wird der Gläubiger einer Bring- oder Schickschuld durch ein wörtliches Angebot nach § 295 oder durch ein fehlendes Erfordernis zum Angebot nach § 296 (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 6; HP/Lorenz § 300 Rz 6; aA Staud/Feldmann § 300 Rz 23; Erman/Hager § 300 Rz 8) in Annahmeverzug versetzt und hat die Konkretisierung des Leistungsgegenstandes bereits stattgefunden, wurde die Leistung dem Gläubiger aber nicht übermittelt, findet § 243 II keine Anwendung, so dass § 300 II eingreifen kann (Grüneberg/Grüneberg § 300 Rz 6; HP/Lorenz § 300 Rz 6; Erman/Hager § 300 Rz 8; aA MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 4). Dies soll auch dann gelten, wenn der Annahmeverzug durch eine Unterlassung der Mitwirkungshandlung des Gläubigers verursacht wird (Staud/Feldmann § 300 Rz 18; HP/Lorenz § 300 Rz 6; aA Erman/Hager § 300 Rz 8; MüKoBGB/Ernst § 300 Rz 4). Eine weitere Konstellation liegt nach hM in der Übermittlung eines Geldbetrags, der vom Gläubiger nicht angenommen wird und auf dem Rücktransport verloren geht oder gestohlen wird; ...