Prof. Dr. Klaus Peter Berger
Rn 20
Enthält ein Vertrag, der unter Zugrundelegung von AGB geschlossen wurde, eine Lücke, so ist zu unterscheiden: Wenn die AGB wirksam einbezogen und auch nach §§ 307 ff als wirksam anzusehen sind, ist der Richter befugt, eine (anfängliche) Lücke nach den Grundsätzen über die ergänzende Vertragsauslegung nach § 157 (s § 157 Rn 15 ff) zu schließen (BGHZ 119, 325; NJW-RR 04, 262). Die Lücke kann auch darauf beruhen, dass sich die bei Vertragsschluss bestehenden wirtschaftlichen oder rechtlichen Verhältnisse nachträglich ändern (BGH NJW 93, 3193; NJW-RR 89, 1490). Beruht die (nachträgliche) Lücke darauf, dass die Klausel(n) nicht wirksam in den Vertrag einbezogen wurde(n), oder auf der Unwirksamkeit einer Klausel nach §§ 307 ff, so gilt zunächst § 306 I, II. Eine Lückenfüllung durch ergänzende Vertragsauslegung kommt in Betracht, soweit mangels dispositiven Gesetzesrechts der ersatzlose Wegfall der Klausel nicht dem Parteiwillen entspricht (BGH NJW 15, 1167; BAG ZIP 20, 480 Rz 27; HP/H. Schmidt § 305c Rz 59; s § 306 Rn 21) oder wenn der Vertrag andernfalls nach § 306 III unwirksam wäre (BGH NJW 19, 2602 Rz 18 f; BAG ZIP 19, 1443 Rz 37; s § 306 Rn 17).
Rn 21
Zu ermitteln ist in jedem Fall die Gestaltung, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen gewählt hätten, wenn ihnen die Lücke bei Vertragsschluss bewusst gewesen wäre (BGHZ 119, 325; NJW 06, 999; 02, 3098). Dabei ist ein objektiv-generalisierender, auf den in den AGB zum Ausdruck kommenden, typischen Interessenkonflikt fokussierter und an den Interessen der typischerweise an Geschäften der betr Art beteiligten Verkehrskreise ausgerichteter Maßstab anzulegen (BGHZ 164, 297, 317; 107, 277; NJW-RR 04, 262). Der tatsächliche Wille der Parteien ist nur insoweit zu berücksichtigen, als er die äußerste Grenze der Auslegung bildet (BGHZ 90, 77). Kommen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten gleichermaßen in Betracht, scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus (BGHZ 90, 80; NJW 06, 999; 00, 1114; aA W/L/P/Lindacher/Hau § 306 Rz 21; HP/H. Schmidt § 305c Rz 25). Gleiches gilt, wenn eine Vielzahl von AGB-Klauseln unwirksam ist und die ergänzende Vertragsauslegung einer Vertragsgestaltung durch das Gericht gleichkäme (BGHZ 51, 58; NJW 71, 1034; s.a. § 306 Rn 18). Zur Abgrenzung zum Verbot der geltungserhaltenden Reduktion § 306 Rn 5; zur ergänzenden Auslegung des Vertrages bei Wegfall einer Klausel wegen Unwirksamkeit nach § 307 BGH DB 09, 2657.
Rn 22
Bsp: Bürgenhaftung (BGHZ 137, 157); Freigabeanspruch bei revolvierenden Globalsicherheiten (BGHZ 137, 218 ff); Genussscheine (BGHZ 119, 325); Kündigungsausschluss in Langzeitvertrag (BGHZ 120, 122); Tagespreisklauseln (BGHZ 90, 74 ff; NJW 84, 1181); Preisanpassungsklausel (BGH NJW 90, 116); Preiserhöhungsklausel und Festpreisvereinbarung (BGHZ 94, 342); Vergütungsanspruch bei vorzeitiger Vertragsbeendigung (BGHZ 54, 115); Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern (BGH NJW 02, 2388; 02, 3098).