Prof. Dr. Klaus Peter Berger
Rn 32
Durch die Einschränkung der Möglichkeit, formularmäßig Änderungsvorbehalte zu vereinbaren, soll Störungen des Äquivalenzverhältnisses entgegengewirkt und Sekundäransprüche des Kunden wegen der ursprünglich geschuldeten Leistung gesichert werden (MüKo/Wurmnest § 308 Nr 4 Rz 1). Nr 4 betrifft nur Leistungen des Verwenders und erfasst alle Klauseln, die unmittelbar oder mittelbar – etwa durch den Ausschluss von Sekundäransprüchen, durch Irrtumsklauseln oder die Fiktion, die Abweichung gelte nicht als Mangel (Grüneberg/Grüneberg § 308 Rz 24) – zu nachträglichen Änderungen der versprochenen Leistung (auch Nebenleistung, W/L/P/Dammann § 308 Nr 4 Rz 7, und Leistungsmodalitäten, BAG NZA 17, 1195 [BAG 18.05.2017 - 2 AZR 721/16] Rz 25) oder Abweichungen hiervon berechtigen (MüKo/Wurmnest § 308 Nr 4 Rz 5; HP/Becker § 308 Nr 4 Rz 25; vgl auch LG Dortmund Bunte V § 10 Nr 4 Rz 18). Auf Reise- und Gastschulaufenthaltsverträge ist Nr 4 gem §§ 651f III, 651u I nicht mehr anwendbar (zum alten Recht s BGH NJW 14, 1168 [BGH 10.12.2013 - X ZR 24/13]; 18, 1534 [BGH 16.01.2018 - X ZR 44/17] Rz 24).
Rn 33
Einzelfälle (Änderungsvorbehalt +, nein –): Ersetzungsbefugnisse (+BGH WM 05, 2250; NJW 70, 992; Frankf NZBau 21, 328; +BAG ZIP 23, 544 Rz 27); Freiwilligkeitsvorbehalt bzgl Sonderzahlungen im Arbeitsvertrag (–BAG NJW 08, 3592 [BAG 30.07.2008 - 10 AZR 606/07]; +BAG NZA 23, 629 [BAG 25.01.2023 - 10 AZR 109/22] Rz 19 ff, wenn der Freiwilligkeitsvorbehalt nach Auslegung auch spätere Indvidualabreden erfasst); Befugnis zur Erbringung von Teilleistungen (+Stuttg NJW-RR 95, 117 [OLG Saarbrücken 30.09.1994 - 4 U 946/93-172]; Stoffels Rz 795); Toleranz- und Circa-Klauseln des Warenhandels (+MüKo/Wurmnest § 308 Nr 4 Rz 6); Modellnachfolgeklauseln (+Kobl ZIP 81, 511); Verlegung des Erfüllungsortes (+LG Dortmund VuR 95, 140; Hamm NJW-RR 92, 445); Befugnis zur Änderung von AGB, die beiderseitige Leistungen betreffen (+BGH NJW 99, 1865 [BGH 17.03.1999 - IV ZR 218/97]; Dresd MMR 20, 626 [OLG Dresden 07.04.2020 - 4 U 2805/19]); Änderungsvorbehalt in einem Kreditvermittlungsvertrag bzgl Höhe und Laufzeit eines Darlehens (–LG Berlin ZIP 81, 1087f); Verweis auf jew geltende Regelung der betrieblichen Altersvorsoge des Arbeitgebers (+/–BAG NZA 23, 1189 [BAG 09.05.2023 - 3 AZR 226/22] Rz 29); Klausel, nach der sich Versorgungsschuldner vorbehält, die zugesagte Rente durch barwertgleiche Kapitalleistung zu ersetzen (+BAG NZA 23, 764 [BAG 17.01.2023 - 3 AZR 501/21] Rz 36); ›kurzzeitige Beeinträchtigung in der Verfügbarkeit des Kundenportals‹ (–Köln MMR 23, 296 [OLG Köln 02.09.2022 - 6 U 71/22] Rz 47).
I. Zumutbarkeit.
Rn 34
Zumutbar ist der Änderungsvorbehalt, wenn das Interesse des Verwenders an der Änderung das Interesse des Kunden daran überwiegt, gerade die versprochene Leistung zu erhalten (BGH NJW-RR 08, 134; BAG ZIP 23, 544 Rz 28; MüKo/Wurmnest § 308 Nr 4 Rz 8). Es gilt ein generalisierend typisierender Maßstab (W/L/P/Dammann § 308 Nr 4 Rz 24). Nach der Rspr muss die Änderungsklausel Voraussetzungen und Umfang möglicher Änderungen hinreichend konkretisieren (BGH NJW-RR 08, 134 [BGH 11.10.2007 - III ZR 63/07]) und solche Änderungen ausschließen, die auf eine erhebliche Störung des Äquivalenzverhältnisses hinauslaufen würden (BGH NJW-RR 90, 1233 [OLG Hamm 27.06.1990 - 30 REMiet 1/90]; NJW 83, 1325 [BGH 20.01.1983 - VII ZR 105/81]). Die Beweislast für die Zumutbarkeit obliegt dem Verwender.
Rn 35
Einzelfälle (zumutbar +, nicht –): Wiedergabe des Wortlauts von Nr 4 (–Hambg NJW-RR 86, 1440); Änderung der Flugmodalitäten ›nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Interessen des Fluggasts‹ (–BGH NJW 83, 1325); Berechtigung, ›notwendige‹ Reparaturarbeiten ohne Zustimmung des Kunden vorzunehmen (–BGH NJW 87, 2818); Änderungsvorbehalt bzgl offens Irrtümer in Emmissionsbed (–BGH ZIP 09, 1559); Zulässigkeit der Verlegung der Räume eines Sportcenters bei gleichzeitigem Ausschluss der Kündigungsmöglichkeit (–Hamm NJW-RR 92, 445); Recht der Bank, einen Teil der Darlehensvaluta einzubehalten (–Frankf VersR 90, 526); Zulässigkeit ›unwesentlicher Abweichungen‹ bei Ergänzungsstücken im Möbelhandel (–Kobl NJW-RR 93, 1079 [OLG Koblenz 19.02.1993 - 2 U 527/91]); ›handelsübliche Abweichungen in Struktur und Farbe ggü dem Ausstellungsstück‹ (+BGH NJW 87, 1886 [BGH 11.03.1987 - VIII ZR 203/86]); Berechtigung des Verwenders, ›bei Modell- und Konstruktionsänderungen das Nachfolgemodell zu liefern‹ (–Kobl ZIP 81, 509); Kündbarkeit einer Pauschalierungsabrede (+BAG NZA 17, 1195); Recht des Versorgungsschuldners, statt Rente Einmalzahlung zu leisten, wenn Barwert der Rente höher ist (–BAG ZIP 23, 544); Widerrufsvorbehalt Weihnachtsgeld (uU +BAG NJW 17, 3181 Rz 23); Zinsänderungsklausel (–BGH NJW 04, 1588; ZIP 21, 2427).
II. Verträge zwischen Unternehmern.
Rn 36
Nr 4 findet auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr über §§ 307 II Nr 1, 310 I Anwendung (vgl BGH NJW 85, 626 [BGH 26.11.1984 - VIII ZR 214/83]; 84, 1183 [BGH 21.12.1983 - VIII ZR 195/82]; Stoffels Rz 802). Abänderungsvorbehalte, die sich in den Gren...