Prof. Dr. Klaus Peter Berger
Rn 45
Vor dem Hintergrund des allg Verbots formularmäßiger Beweislaständerungen zuungunsten der Verwendergegenseite (§ 309 Nr 12) statuiert Nr 6 einen ›verdeckten Erlaubnistatbestand‹. Dieser gestattet es, den Zugang von Erklärungen des Verwenders ohne besondere Bedeutung – abw von der in § 130 niedergelegten Beweislastverteilung – zu fingieren. Der Begriff der Erklärung iSv Nr 6 erfasst nicht nur Willenserklärungen und geschäftsähnliche Erklärungen (W/L/P/Dammann § 308 Nr 6 Rz 2) des Verwenders, sondern auch Erklärungen und Mitteilungen Dritter, aus deren Zugang der Verwender für sich günstige Rechtsfolgen ableiten will oder die dem Verwender zugerechnet werden (W/L/P/Dammann § 308 Nr 6 Rz 2). Eine Zugangsfiktion liegt dabei unabhängig davon vor, ob die Klausel das ›Ob‹ oder lediglich den Zeitpunkt des Zugangs fingiert (HP/Becker § 308 Nr 6 Rz 10). Wird auf den Zugang ganz verzichtet, ist die Klausel idR nach § 307 II Nr 1 unwirksam (MüKo/Wurmnest § 308 Nr 6 Rz 5).
Rn 46
Einzelfälle (Zugangsfiktion +, nein –): Zugangsvermutungen (+MüKo/Wurmnest § 308 Nr 6 Rz 4); Abbedingung des Zugangs, zB Erklärung soll mit Übergabe an die Post wirksam sein (+LG Koblenz DnotZ 88, 496; aA § 307, LG München I NJW-RR 92, 244); Abgabefiktionen (–W/L/P/Dammann § 308 Nr 6 Rz 8–9; aA Hambg VersR 81, 126); Abgabevermutungen (–Grüneberg/Grüneberg § 308 Rz 36); Empfangsbevollmächtigung (–BGH NJW 97, 3439 [BGH 10.09.1997 - VIII ARZ 1/97]; 89, 2383 [BGH 22.06.1989 - III ZR 72/88]: iRv § 307 gelten die Grundsätze von Nr 6); Bestellung zum Empfangsboten (+KG NJW-RR 92, 861 [KG Berlin 03.12.1991 - 6 U 3495/90]); Zugangsersatz (zB Aushang) (–W/L/P/Dammann § 308 Nr 6 Rz 10); Absendevermutungen (–MüKo/Wurmnest § 308 Nr 6 Rz 5).
I. Erklärungen von besonderer Bedeutung.
Rn 47
Erklärungen von besonderer Bedeutung sind alle Erklärungen des Verwenders, die für den Vertragspartner mit nachteiligen Rechtsfolgen verbunden sind (Oldbg NJW 92, 1839 [OLG Oldenburg 27.03.1992 - 11 U 113/91]; Stoffels Rz 668). Das Verbot greift damit sehr weit.
Rn 48
Einzelfälle (besondere Bedeutung +, nein –): Tagesauszüge der Banken (–BGH NJW 85, 2699); Rechnungsabschlüsse für Girokonten (+BGH NJW 85, 2699 [BGH 04.07.1985 - III ZR 144/84]; Oldbg NJW 92, 1839 [OLG Oldenburg 27.03.1992 - 11 U 113/91]); Androhung des Pfandverkaufs (+LG Stuttgart Bunte I Nr 6 Rz 56); Mahnungen (+Stuttg BB 79, 909); Setzen einer Frist oder Nachfrist (+U/B/H/Schmidt § 308 Nr 6 Rz 7); Kündigungen und andere Gestaltungserklärungen (+W/L/P/Dammann § 308 Nr 6 Rz 4).
II. Verträge zwischen Unternehmern.
Rn 49
Nr 6 hat im Verkehr zwischen Unternehmern gem §§ 307 I, 310 I indizielle Bedeutung. Auch dort ist also die Zugangsfiktion von Erklärungen von besonderer Bedeutung unwirksam (Stoffels Rz 671).