Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 42
In der ersten Untergruppe liegt der äußere Anschein eines Vertragsschlusses vor, doch ist dieser wenigstens mit dem beabsichtigten Inhalt unwirksam. Als Grund hierfür kommen alle Nichtigkeitsgründe in Betracht, etwa §§ 105, 125, 134, 138 usw. Anerkannt ist die cic-Haftung hier seit RGZ 104, 265 (Weinsteinsäure). Auch § 306 III genügt. Sonderregeln für die Schadensersatzpflicht finden sich in §§ 122 (für die §§ 118, 119, 120) und 179 (für die Vertretung ohne Vertretungsmacht). Hier wird iS einer Erklärungshaftung auf das Verschuldenserfordernis verzichtet. Eine fehlende Ausweisung der Rechtsform nach § 5a GmbHG begründet für den Vertreter eine Haftung analog §§ 311 II, III, 179 (BGH ZIP 22, 481).
Rn 43
Das Problem dieser Untergruppe besteht darin, dass der Unwirksamkeitsgrund (anders als bei den §§ 122, 179) idR beide Parteien betrifft. So ist etwa die Einhaltung der Form von § 311b I (häufigster Anwendungsfall!) Sache sowohl des Verkäufers wie auch des Käufers. Es müssen also Gründe vorliegen, derentwegen die Unwirksamkeit einer Partei besonders zuzurechnen ist. Die Rspr hat hierzu keine einheitliche Formulierung verwendet. So bedurfte in BGHZ 18, 248, 252 f ein Vertrag einer devisenrechtlichen Genehmigung, weil eine Partei Devisenausländer war, was die andere Partei nicht wusste. Hier hat der BGH mit einer aus dem Wissensvorsprung stammenden Aufklärungspflicht argumentiert und deren schuldhafte Verletzung als cic bewertet (ähnl etwa BGHZ 142, 51, 60 ff sowie BGH HFR 10, 661: nichtiger Beratungsvertrag gem § 134 iVm Art 1 § 1 I RBerG bei unzulässiger Rechtsberatung durch einen Steuerberater). Dagegen hat RGZ 104, 265, 268 das haftungsbegründende Verschulden in der mehrdeutigen Ausdrucksweise einer Partei gefunden. Ganz abw versagt etwa BGHZ 92, 164, 172 dem Nichtigkeitsgrund § 125 überhaupt die Wirksamkeit, wenn das Ergebnis trotz eines Schadensersatzanspruchs aus cic nicht nur hart, sondern ›schlechthin untragbar‹ wäre (s § 125 Rn 27 ff).
Rn 44
Zusammenfassend wird man sagen können: Die Beachtung der Wirksamkeitserfordernisse eines Vertragsschlusses gehört idR zum Risikobereich beider Vertragsteile (so auch BGHZ 116, 251, 257 f für § 313 aF; Grüneberg/Grüneberg Rz 39). Daher gibt es idR keine allg Schutzpflicht mit dem Ziel, eine Unwirksamkeit des Vertrags zu vermeiden. Doch kommen folgende Ausnahmen in Betracht:
Rn 45
Wirksamkeitshindernisse aus persönlichen Verhältnissen einer Partei, die der anderen nicht bekannt sind: Hier besteht eine Aufklärungspflicht und ggf eine Pflicht, das Hindernis zu beseitigen. Bsp sind BGHZ 18, 248 (Devisenausländer) oder BGHZ 142, 51 (Pflicht einer Gemeinde, auf das Erfordernis einer Genehmigung und deren Einzelheiten hinzuweisen).
Rn 46
Wirksamkeitshindernisse aus dem Verhalten einer Partei: Diese verwendet etwa sittenwidrige (BGHZ 99, 101, 107) Vertragsbedingungen; Gleiches muss bei Gesetzeswidrigkeit gelten. Oder eine Partei stellt der anderen AGB, deren Unzulässigkeit nach den §§ 307 ff wegen § 306 III zur Nichtigkeit führt (sonst bleibt nach § 306 II der Vertrag ohne die unzulässige Klausel wirksam, so dass kein Schaden für den Gegner entsteht). Auch eine mehrdeutige und zum Dissens führende Ausdrucksweise (RGZ 104, 265) gehört hierher. Weiter sind zu nennen Fälle einer Betreuungspflicht für den anderen Teil, die zur Verhinderung unwirksamer Verträge verpflichtet. Diese kann auf Vertrag beruhen. Dann wird sie aber (zB bei einem Anwalt oder Notar) idR eine Leistungspflicht darstellen, deren Verletzung schon nach § 280 I zum Schadensersatz verpflichtet. Als Schutzpflicht kommt sie bei Verträgen mit anderen Zielen in Betracht (zB Baubetreuung). Gesetzliche Schutzpflichten zur Vermeidung unwirksamer Verträge sind zB für gesetzliche Vertreter anzunehmen. Endlich können sich solche Schutzpflichten aus vorangegangenem Tun ergeben, zB wenn der eine Teil den anderen durch eine unrichtige Auskunft von der Einhaltung einer Form abgehalten hat. Die Pflicht zum Angebot einer angemessenen Gegenleistung nach § 31 I 1 WpÜG begründet keine Nebenpflicht des Bieters ggü den Aktionären (BGHZ 232, 46 Rz 29).
Rn 47
Der Inhalt des Schadensersatzes dürfte analog §§ 122 I, 179 II auf das negative Interesse gehen, begrenzt durch den Betrag des Schadensersatzes statt der Leistung. Denn die verletzte Schutzpflicht zielt nicht auf den Abschluss wirksamer Verträge, sondern auf den Schutz vor den Folgen eines enttäuschten Vertrauens auf die Vertragswirksamkeit. Die Begrenzung durch das positive Interesse ist deshalb sinnvoll, weil der Geschädigte nicht besser zu stehen braucht, als er bei Vertragswirksamkeit stünde. Dass die Vertrauensgrundlage erkennbar brüchig war, ist nach § 254 zu berücksichtigen (etwa BGHZ 99, 101, 109). Zu Besonderheiten im Vergaberecht Gröning GRUR 09, 266.