Prof. Dr. Michael Stürner
I. Die Notwendigkeit eines Vertrages.
Rn 3
Der Wortlaut von I betont als Regel die Notwendigkeit eines Vertrages zur Begründung oder Inhaltsänderung eines nicht auf Gesetz beruhenden Schuldverhältnisses. Das ist eine Folge der Privatautonomie: Niemand soll ohne seinen rechtgeschäftlich erklärten Willen den Wirkungen eines solchen Schuldverhältnisses ausgesetzt sein. Das gilt ausnahmslos für Verpflichtungen. Aber auch bloß begünstigende Berechtigungen sollen idR nicht ohne Willen des Begünstigten begründet werden. Daher sind auch der Erlass (§ 397) und die Schenkung (§§ 516 ff) als Vertrag ausgestaltet. Eine Änderung des Vertrags kann Haupt- und Nebenleistungspflichten betreffen (BGH NJW-RR 17, 1206 [BGH 05.07.2017 - VIII ZR 163/16] Rz 12 zur Preisanpassung nach § 41 III EnWG). Eine erloschene Vertragspflicht kann (ggf stillschweigend) wiederbegründet werden (BGH NJW 18, 537 Rz 28 ff; WM 18, 37 Rz 27 ff bzgl ›PayPal-Käuferschutz‹).
Rn 4
Ausnahmsweise ohne Vertrag können begründet werden eine Berechtigung aus (echtem) Vertrag zugunsten Dritter (Vor § 328 Rn 2 ff), Auslobung (§ 657 ff) und Vermächtnis (§§ 2147 ff). Doch können die so erworbenen Ansprüche nach den §§ 334 und 2180 mit Rückwirkung ausgeschlagen werden; für die Auslobung wird Entspr angenommen. Ohne vertragliche Mitwirkung des alten Schuldners tritt auch dessen Schuldbefreiung bei einer Schuldübernahme nach § 414 ein. Hier wird die Möglichkeit einer nachträglichen Ausschlagung durch den befreiten Schuldner mit Recht überwiegend verneint (§§ 414, 415 Rn 2): Der Schuldner muss ja nach § 267 auch eine Befreiung durch die von ihm nicht veranlasste Leistung eines Dritten hinnehmen.
II. Das Ausreichen eines Vertrages.
Rn 5
Über den Gesetzeswortlaut hinaus wird aber in I auch das Prinzip der im Schuldrecht herrschenden Vertragsfreiheit gefunden: Der Vertrag soll also für Entstehung oder Änderung eines Schuldverhältnisses nicht nur notwendig, sondern auch ausreichend sein. Diese Regel umfasst mehrere wichtige Einzelregeln, die freilich alle nicht ohne weitreichende Ausnahmen gelten.
1. Die Abschlussfreiheit.
a) Inhalt.
Rn 6
Jeder kann frei bestimmen, ob er überhaupt einen Vertrag schließen will. Diese Freiheit wird zwar faktisch durch viele Bedürfnisse eingeschränkt, die legal (also außer durch Delikt) nur durch Vertrag befriedigt werden können. Trotzdem bringt die Abschlussfreiheit weithin den Vorteil vielfacher Wahlmöglichkeiten; sie trägt daher zur Entfaltung der Persönlichkeit (Art 2 I GG) bei.
b) Kontrahierungszwang.
Rn 7
Den Gegensatz zur Abschlussfreiheit bildet der Kontrahierungszwang. Er kann va auf Rechtsgeschäft oder auf Gesetz beruhen.
Rn 8
Der wichtigste Kontrahierungszwang durch Rechtsgeschäft liegt in der Einräumung einer Option: Diese berechtigt den anderen Teil, durch einseitige Willenserklärung einen Vertrag mit dem Optionsgeber zustande zu bringen. Dabei kann man die Verkaufsoption (Put-Option) und die Ankaufsoption (Call-Option) unterscheiden (Einzelh Vor § 145 Rn 33 ff). Doch ist dieses einseitige Gestaltungsrecht durch die Abschlussfreiheit des Optionsgebers insoweit gedeckt, als ja die Einräumung des Optionsrechts frei war.
Rn 9
Ähnl liegt es beim Vorkaufsrecht: Dieses kann zwar einseitig ausgeübt werden, sobald der Verpflichtete einen Kaufvertrag mit einem Dritten abgeschlossen hat (§§ 463 ff, dort auch zu den Einzelheiten). Aber die Abschlussfreiheit besteht hier sowohl bei der Einräumung des Vorkaufsrechts wie auch beim Abschluss des Vertrages mit dem Dritten. Die erste Freiheit fehlt zwar beim gesetzlichen Vorkaufsrecht (etwa nach §§ 577, 2034f); frei bleibt aber auch hier der Verkauf an einen Dritten.
Rn 10
Der Kontrahierungszwang kraft Gesetzes greift immer weiter um sich. Zunächst war er bei Versorgungsleistungen zum Ausgleich von Monopolstellungen auf der Anbieterseite gedacht (Eisenbahn § 453 HGB aF mit §§ 3, 9 EVO; Post § 8 PostG; Energieversorgung § 17 EnWG, auch §§ 2, 3 StromeinspeisungsG; Personenbeförderung § 22 PBefG; Güterverkehr §§ 13a IV 3, 90 I 3 GüKG; Luftverkehr § 21 II LuftVG, Pflegeversicherung § 110 I SGB XI). Unabhängig von Versorgungsleistungen sind die §§ 15 PatG, 5 PflVersG. S zum Ganzen Busche Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 99; Majer JR 15, 107.
Rn 11
Dazu kommen allg Regeln, die auf einen Kontrahierungszwang hinauslaufen. Die Allgemeinste ist § 826 iVm § 249 I (vgl § 826 Rn 24): Die Abschlussverweigerung kann eine sittenwidrige Schädigung darstellen, so dass der Verweigernde als Naturalrestitution den Abschluss schuldet. § 20 GWB verbietet eine Diskriminierung durch Marktbeherrschende und ähnliche Unternehmen; § 33 GWB verpflichtet bei Verstößen zum Schadensersatz und damit uU zum Abschluss nichtdiskriminierender Verträge. Zum Kontrahierungszwang auf der Grundlage des AGG unten Rn 13; zur cic unten Rn 55.
Rn 12
Viele Fallgruppen dagegen stehen im Grenzbereich des § 826. So soll die Tagespresse Anzeigen politischen Inhalts nicht zu veröffentlichen brauchen (BVerfG 42, 53, 62). Anderes mag aber für tendenzfreie Anzeigen zumal dann gelten, wenn die Zeitung ein lokales Monopol hat (Erman/Armbrüster Vor § 145 Rz 30). Eine Sparkasse (BGH NJW ...