Prof. Dr. Michael Stürner
I. Einführung.
Rn 33
In II und III enthält § 311 eine Teilregelung für die cic (das Verschulden bei Vertragsverhandlungen, s Heinrichs FS Canaris [07] I 421, 425 ff; Lehmann ZEuP 09, 693; Lüsing, Die Pflichten aus culpa in contrahendo und positiver Vertragsverletzung, 10). Nur eine Teilregelung bildet dies aus mehreren Gründen: (1.) Die Vorschrift enthält nur Bestimmungen über die Verletzung gewisser Schutzpflichten (§ 241 II), die mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen im weitesten Sinn zusammenhängen, aber nicht auch über die Rechtsfolgen. Diese sind den §§ 280 ff zu entnehmen. (2.) Insoweit enthält die Vorschrift nichts zu der umstrittenen Frage, ob der Schadensersatz auch die Aufhebung eines Vertrages oder die Minderung der Gegenleistung umfassen kann. Daher bleibt auch das zweifelhafte Verhältnis zu den §§ 123 f ungeklärt (u Rn 66). (3.) Die Vorschrift arbeitet mehrfach mit unbestimmten Rechtsbegriffen, etwa II Nr 2: Anbahnung und Nr 3: ähnliche geschäftliche Kontakte. (4.) Die Vorschrift lässt das Konkurrenzverhältnis von II und III zu mehreren speziell geregelten Arten eines nicht regelgerechten Verhaltens bei Vertragsverhandlungen unbeachtet.
Rn 34
Diese Unbestimmtheiten sind gewollt: Die cic ist als allg Rechtsinstitut von Rspr und Lit vorsichtig aus einzelnen Ansätzen im BGB (etwa § 307 aF) entwickelt worden. Der Gesetzgeber des SchRModG hat bloß den so erreichten Stand kodifizieren, aber nicht die Fortentwicklung abschneiden oder wesentliche Streitfragen entscheiden wollen. Für diese Entwicklung bildet die Regelung in II und III bloß einen weiten Rahmen (vgl etwa u. Rn 70 f zur Expertenhaftung).
II. Fallgruppenbildung.
Rn 35
Für die cic haben sich bisher drei Fallgruppen (teils mit Untergruppen) herausgebildet. Ansatzpunkt hierfür ist die Art der Verbindung des Schadens mit dem intendierten Vertrag. Die Schutzpflichten folgen dann aus dem Zweck der Vermeidung solcher Schäden. Der Schaden kann nämlich (1.) unabhängig von einem Vertragsschluss sein, zB eine körperliche Verletzung des Käufers in Räumen des Verkäufers; (2.) auf dem Nichtzustandekommen eines wirksamen Vertrags beruhen, zB durch vergebliche Aufwendungen für den Abschluss des Vertrags oder dessen Ausführung; endlich (3.) in der Belastung mit einem wirksamen nachteiligen Vertrag bestehen, zB weil der Verkäufer den Käufer fahrlässig falsch über die Brauchbarkeit des Kaufgegenstandes beraten hat. Diese Fallgruppenbildung liegt dem Folgenden zugrunde.
III. Schäden unabhängig vom Vertragsschluss.
Rn 36
Der Vertragsschluss kann erfordern, dass der eine Teil sich selbst, seine Rechte, Rechtsgüter oder Interessen in den Gefahrenbereich des anderen Teils bringt. Das trifft zu für alle Ladengeschäfte einschließlich der Kaufhäuser (Karlsr NJW-RR 21, 1321 [OLG Karlsruhe 11.05.2021 - 9 U 62/19]; Dresd ZfSch 23, 552), aber auch für viele andere Verträge, die unter Anwesenden abgeschlossen werden. Auch für den Verkäufer eines Hausgrundstücks bestehen gegenüber einem Kaufinteressenten vorvertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten (Ddorf NJW-RR 20, 19). Hier trifft den anderen Teil die Schutzpflicht (§ 241 II), die Gefahren möglichst gering zu halten. Diese Schutzpflichten werden, da idR Schutzgüter von § 823 I betroffen sind, weithin mit den dort beheimateten Verkehrspflichten übereinstimmen (vgl § 823 Rn 106 ff). Vorteile von Ansprüchen aus cic bestehen dann hinsichtlich der Gehilfenhaftung (§ 278 statt § 831, so schon RGZ 78, 239: Umfallen einer Linoleumrolle durch Ungeschick des Gehilfen) und der Beweislast für das Verschulden (§ 280 I 2, vgl BGH NJW 62, 33, 34 [BGH 24.10.1961 - VI ZR 204/60]: Sturz wegen Bananenschale sowie § 280 Rn 24 ff).
Rn 37
Nötig ist nach II Nr 2 die Anbahnung eines Vertrages; Nr 3 lässt schon ähnliche geschäftliche Kontakte genügen, die nicht auf einen Vertragsschluss gerichtet zu sein brauchen. Zur Anwendung auf bloße Gefälligkeitsverhältnisse (Heinrichs FS Canaris [07] I 421, 439 ff im Ansatz bejahend). Diese ›Anbahnung‹ setzt weniger voraus als die ›Aufnahme von Vertragsverhandlungen‹ des II Nr 1. Insb genügt schon das Betreten eines Ladengeschäfts in Kaufabsicht (BGH NJW 62, 33; Dred ZfSch 23, 552). Dies gilt auch dann, wenn der Kunde in einem Selbstbedienungsladen zunächst nur einen Überblick über das Angebot oder einen Preisvergleich mit Konkurrenzunternehmen anstrebt: II Nr 2 lässt eine ›etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung‹ genügen (noch offen gelassen in BGHZ 66, 51, 54f). Dagegen soll es nach BGH aaO nicht genügen, dass jemand die Geschäftsräume für andere Zwecke aufsucht (zB Schutz vor Regen, Durchgang zu anderer Straße oder als Treffpunkt). Doch wird man Ausnahmen zulassen müssen: Die Dekorationen speziell in Kaufhäusern sollen häufig die Kauflust erst wecken und damit der Anbahnung von Vertragsschlüssen dienen. Ob auch der Ladendiebstahl eine cic bedeutet, lässt BGHZ 75, 230, 231 offen. Eine Verneinung liegt schon wegen der regelmäßigen Nutzlosigkeit einer weiteren Anspruchsgrundlage nahe. Zur Anwendung auf Arbeitskampfparteien Giesen NZA 21, 319. Die Versendung einer unberechtigten Abma...