Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 36
Der Vertragsschluss kann erfordern, dass der eine Teil sich selbst, seine Rechte, Rechtsgüter oder Interessen in den Gefahrenbereich des anderen Teils bringt. Das trifft zu für alle Ladengeschäfte einschließlich der Kaufhäuser (Karlsr NJW-RR 21, 1321 [OLG Karlsruhe 11.05.2021 - 9 U 62/19]; Dresd ZfSch 23, 552), aber auch für viele andere Verträge, die unter Anwesenden abgeschlossen werden. Auch für den Verkäufer eines Hausgrundstücks bestehen gegenüber einem Kaufinteressenten vorvertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten (Ddorf NJW-RR 20, 19). Hier trifft den anderen Teil die Schutzpflicht (§ 241 II), die Gefahren möglichst gering zu halten. Diese Schutzpflichten werden, da idR Schutzgüter von § 823 I betroffen sind, weithin mit den dort beheimateten Verkehrspflichten übereinstimmen (vgl § 823 Rn 106 ff). Vorteile von Ansprüchen aus cic bestehen dann hinsichtlich der Gehilfenhaftung (§ 278 statt § 831, so schon RGZ 78, 239: Umfallen einer Linoleumrolle durch Ungeschick des Gehilfen) und der Beweislast für das Verschulden (§ 280 I 2, vgl BGH NJW 62, 33, 34 [BGH 24.10.1961 - VI ZR 204/60]: Sturz wegen Bananenschale sowie § 280 Rn 24 ff).
Rn 37
Nötig ist nach II Nr 2 die Anbahnung eines Vertrages; Nr 3 lässt schon ähnliche geschäftliche Kontakte genügen, die nicht auf einen Vertragsschluss gerichtet zu sein brauchen. Zur Anwendung auf bloße Gefälligkeitsverhältnisse (Heinrichs FS Canaris [07] I 421, 439 ff im Ansatz bejahend). Diese ›Anbahnung‹ setzt weniger voraus als die ›Aufnahme von Vertragsverhandlungen‹ des II Nr 1. Insb genügt schon das Betreten eines Ladengeschäfts in Kaufabsicht (BGH NJW 62, 33; Dred ZfSch 23, 552). Dies gilt auch dann, wenn der Kunde in einem Selbstbedienungsladen zunächst nur einen Überblick über das Angebot oder einen Preisvergleich mit Konkurrenzunternehmen anstrebt: II Nr 2 lässt eine ›etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung‹ genügen (noch offen gelassen in BGHZ 66, 51, 54f). Dagegen soll es nach BGH aaO nicht genügen, dass jemand die Geschäftsräume für andere Zwecke aufsucht (zB Schutz vor Regen, Durchgang zu anderer Straße oder als Treffpunkt). Doch wird man Ausnahmen zulassen müssen: Die Dekorationen speziell in Kaufhäusern sollen häufig die Kauflust erst wecken und damit der Anbahnung von Vertragsschlüssen dienen. Ob auch der Ladendiebstahl eine cic bedeutet, lässt BGHZ 75, 230, 231 offen. Eine Verneinung liegt schon wegen der regelmäßigen Nutzlosigkeit einer weiteren Anspruchsgrundlage nahe. Zur Anwendung auf Arbeitskampfparteien Giesen NZA 21, 319. Die Versendung einer unberechtigten Abmahnung begründet für sich genommen kein Vertrauensverhältnis und damit keine vorvertragliche Beziehung (BGH NJW 21, 2023 [BVerfG 17.03.2021 - 2 BvR 194/20] Rz 37 – Saints Row).
Rn 38
Jedenfalls sollen nach BGHZ 66, 51, 56 ff auch Dritte in den durch die Vertragsanbahnung geschaffenen Schutzbereich einbezogen werden können, nämlich dort eine minderjährige, ihre Mutter beim Einkauf begleitende Tochter ohne eigene Kaufabsicht. Das entspricht einer Fallgruppe des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte (vgl Vor §§ 328–335 Rn 2 ff); eine solche Wirkung kann also auch der cic zukommen.
Rn 39
In Betracht kommt ein Schadensersatzanspruch aus cic endlich auch, wenn ein Kaufinteressent das Fahrzeug des Verkaufswilligen bei einer Probefahrt schuldhaft beschädigt. Doch ist für diese Haftung zu beachten (BGH NJW 72, 1363 [BGH 07.06.1972 - VIII ZR 35/71]): Ein Kfz-Händler kann von dem nur leicht fahrlässigen Kunden keinen Ersatz verlangen, wenn die Beschädigung mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren zusammenhängt (dort: die dem Fahrer unbekannten Eigenarten einer Servolenkung). Begründet wird das mit der Möglichkeit des Händlers, eine Fahrzeugvollversicherung abzuschließen, während sich der Kunde gegen Schäden aus einer Probefahrt kaum versichern könne. Zumindest hätte der Händler auf das Fehlen von Versicherungsschutz hinweisen müssen (BGH aaO 1364). Auf einen nicht gewerblichen Verkäufer kann das aber nicht übertragen werden. Auch die Rspr zum stillschweigenden Haftungsausschluss bei Gefälligkeitsfahrten (vgl Hamm NJW-RR 07, 1517 [OLG Hamm 14.05.2007 - 13 U 34/07]) passt wegen der geschäftlichen Veranlassung einer Probefahrt nicht.
Rn 40
Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten aus § 280 I richtet sich in diesen Fällen (ebenso wie der häufig konkurrierende Deliktsanspruch) idR auf Ersatz des vollen Körper- oder Sachschadens einschl der adäquaten Folgeschäden, bei Körperschäden einschl eines Schmerzensgeldes (§ 253 II). Doch kommt § 254 in Betracht, wenn etwa der körperlich Verletzte selbst unachtsam war.