Prof. Dr. Michael Stürner
1. Ausgangspunkt.
Rn 56
In der letzten Fallgruppe zu II entsteht der Schaden nicht aus der Unwirksamkeit eines Vertrages, sondern im Gegenteil gerade aus dessen Wirksamkeit: Die Belastung mit dem Vertrag bedeutet deshalb einen Schaden, weil dieser einer Partei unerwartete Nachteile bringt; die cic liegt hier darin, dass die andere Partei bei den Vertragsverhandlungen gegen eine Schutzpflicht zur Aufklärung hierüber verstoßen hat. Der Schadensersatzanspruch kann dann nach § 249 I auf eine Aufhebung oder Änderung des Vertrags gerichtet sein.
Rn 57
Für das Verhältnis Unternehmer – Verbraucher hat der Gesetzgeber das Problem weithin und noch über die cic-Fälle hinaus durch ein verbraucherschützendes Widerrufsrecht gelöst. Dahin gehört insb der Schutz vor Überrumpelung durch die §§ 312b, 312g. Andererseits besteht auch außerhalb der Verbraucherverträge die Möglichkeit zur Anfechtung bei arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung (§§ 123f). Dazu kommt bei wichtigen Vertragstypen noch eine dritte Möglichkeit: Wenn zB bei einem Kauf das Fehlverhalten des Verkäufers in unrichtigen Angaben über den Kaufgegenstand besteht, bestimmen diese idR die Sollbeschaffenheit. Die Unrichtigkeit begründet dann einen Mangel (§§ 434 ff) und löst die Haftung nach den §§ 437 ff aus. Diese speziellen Rechtsbehelfe sind idR zeitlich enger begrenzt als die nach §§ 195, 199 verjährenden Schadensersatzansprüche aus cic (vgl §§ 355 II, 124, 438). Daher ist fraglich, ob und inwieweit man diese Grenzen durch dasselbe Ziel verfolgende Ansprüche überschreiten darf. Die Rspr hierzu ist uneinheitlich: BGHZ 60, 319 (ebenso etwa BGHZ 114, 263, 266) hat Ansprüche aus cic durch die Sachmängelhaftung des Verkäufers für ausgeschlossen gehalten (vgl u. Rn 63). Für § 123 hat BGH NJW 98, 302 [BGH 26.09.1997 - V ZR 29/96] angenommen, diese Vorschrift schütze die Willensfreiheit, der Ersatzanspruch aus cic aber das Vermögen (ähnl Schubert AcP 168, 504). Doch kann der Anspruch auf Naturalrestitution nach § 249 I auch Nichtvermögensschäden erfassen, so dass die Unterscheidung nicht zutrifft. Die Frage nach der Verdrängung der cic durch den verbraucherschützenden Widerruf ist nach BGHZ 169, 109 zu verneinen (s § 358 Rn 16). Bedeutung hat das va, wenn die kurzen Widerrufsfristen (§§ 355 II, 356 II, III) verstrichen sind. Allerdings erfordert die cic einen vom Kläger zu beweisenden Schaden und ein Vertretenmüssen des anderen Teils (§ 280 I). IÜ aber wird ein Anspruch aus cic auf Vertragsaufhebung grds ganz überwiegend und insb von der Rspr anerkannt (etwa BGH NJW 98, 302, 304 [BGH 26.09.1997 - V ZR 29/96] mN; Canaris AcP 200, 273, 304 mN). Nur das Mängelrecht soll solche Ansprüche ausschließen (u. Rn 63 ff).
2. Die Pflichtverletzung.
Rn 58
Die für den Anspruch nötige Verletzung einer Schutzpflicht besteht meist in einer unrichtigen Information (zu Verstößen gegen das UWG Köhler FS Medicus [09], 188). Bloßes Verschweigen von Tatsachen genügt aber nur dann, wenn nach der Verkehrssitte oder Treu und Glauben (§ 242) mit einer Information zu rechnen war (BGH NJW 17, 3586 Rz 14; zur wettbewerbsrechtlichen Dimension BGH NJW-RR 17, 1190 [BGH 02.03.2017 - I ZR 41/16]). So besteht beim Verkauf eines Grundstücks in den neuen Bundesländern eine Verpflichtung des Verfügungsberechtigten, den Käufer vor Abschluss des Kaufvertrages darauf hinzuweisen, dass die Erteilung der erforderlichen Grundstücksverkehrsgenehmigung und das Wirksamwerden des Vertrages wegen möglichen Restitutionsansprüchen unsicher ist (BGH NJW-RR 10, 818 [BGH 29.01.2010 - V ZR 127/09]).
Rn 58a
Diese Aufklärungspflicht kann durch Bereitstellung von Informationsmaterial erfüllt werden. Dies genügt aber nur dann, wenn die berechtigte Erwartung besteht, der andere Teil werde diese Unterlagen auch gezielt hinsichtlich eines bestimmten Gesichtspunktes durchsehen (BGH NJW 12, 846 [BGH 11.11.2011 - V ZR 245/10] zu Grundstückskauf; s.a. BGH NJW 13, 1807 [BGH 01.02.2013 - V ZR 72/11]). So erfüllt der Verkäufer eines bebauten Grundstücks, der dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zu der Immobilie gewährt, seine Aufklärungspflicht nur, wenn und soweit er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird (BGH NJW 23, 3423 [BGH 15.09.2023 - V ZR 77/22]). Auch die Zahlung von Schmiergeldern (BGH NJW 01, 1065) oder die Überrumpelung (Bambg NJW-RR 97, 694 [OLG Bamberg 24.09.1996 - 5 U 104/95]) bilden eine Pflichtverletzung, ebenso das ›Unterschieben‹ eines geänderten Vertragsentwurfs (Korch NJW 14, 3553).
Rn 59
Nach BGHZ 170, 226 Rz 20 ff muss eine Bank den Kunden über Rückvergütungen aufklären, die sie wegen der Fondsanteile bezieht (zur Aufklärungspflichtverletzung der finanzierenden Bank BGH WM 10, 1448). BGHZ 201, 310 Rz 38 hat das dahin verallgemeinert, dass die beratende Bank den Kunden aufgrund von Anlageberatungsverträgen ab dem 1.8.14 über den Empfang versteckter Innenprovisionen von Seiten Dritt...