Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 15
Diese wird in I ausdrücklich als ›insb‹ zu berücksichtigender Umstand erwähnt: Für § 313 ist kein Raum, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, das nach gesetzlicher Risikozuweisung oder vertraglicher Regelung in den Risikobereich einer Partei fällt (BGHZ 74, 370, 373; BGH WM 17, 1937 Rz 8). Teilweise besteht eine Überschneidung mit den in Rn 14 für die Vorhersehbarkeit genannten Bsp. So kann man in dem Verkauf als bloßes ›Bauerwartungsland‹ eine vertragliche Zuweisung des Risikos, die Erwartung werde sich nicht erfüllen, an den Käufer sehen. Eine Leistungserschwerung durch Verschärfung der Bankkonditionen für eine Sicherheitsleistung in Folge der Finanzmarktkrise 2008 fällt in den Risikobereich des Schuldners (KG NJW 13, 478 [KG Berlin 05.11.2012 - 8 U 171/11]). Zur Verwendung von MAC-Klauseln (material adverse change) in Unternehmenskaufverträgen vgl Hasselbach/Wirtz BB 05, 842; Karampatzos in Wilhelmi/Stürner, Post-M&A-Schiedsverfahren 19, 261; Zeyher aaO, 279. Zur Risikoverteilung einzelner Schuldverhältnisse aufgrund der COVID-19-Pandemie Jung JZ 20, 715, 722; zu Bauverträgen Christiansen ZfBR 20, 428, 430; Koblizek/Finke NZBau 20, 279.
Rn 16
Gesetzliche Risikozuweisungen finden sich etwa in § 537 I 1: Der Mieter trägt das Risiko, die (mangelfreie) Mietsache aus einem in seiner Person liegenden Grund nicht verwenden zu können oder mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können (BGH NJW 06, 899, 901 [BGH 21.09.2005 - XII ZR 66/03]; NJW-RR 10, 1016, 1017 [BGH 17.03.2010 - XII ZR 108/08]). Anders wird das vielfach hinsichtlich der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf gewerbliche Mietverhältnisse beurteilt, wo vielfach eine Störung der Geschäftsgrundlage angenommen wird: Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Solcherlei wirtschaftliche Nachteile beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen mit Gewinn ein Geschäft betreiben zu können. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann (BGH ZIP 22, 174 Rz 41; ZIP 22, 532 Rz 28, ebenso für Pflegeheimkosten BGH VersR 22, 972; dennoch verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise, s BGH WM 23, 351; NJW 22, 1382; BGHZ 232, 178; BGH WM 22, 1756; BGH NJW-RR 23, 164 näher zur Risikoverteilung Schmidt AcP 222, 546; Stürner JURA 23, 1022).
Rn 16a
MWv 31.12.20 stellte Art 240 § 7 EGBGB, eingefügt durch das Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht, v 22.12.20, BGBl I, 3328, eine Vermutung für das Vorliegen einer schwerwiegenden Veränderung der Vertragsgrundlage auf, wenn vermietete oder verpachtete Grundstücke oder Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind (BGHZ 234, 229; BGH WM 23, 348; krit Brinkmann/Thüsing NZM 21, 5; Römermann NJW 21, 265; Zimmermann WM 21, 1781). Die Vorschrift wurde mWv 1.10.22 aufgehoben.
Rn 16b
Auch die Vorschriften über die Gewährleistung schließen § 313 aus (BGHZ 89, 100, 103), und zwar selbst dann, wenn sie im Einzelfall keinen Anspruch begründen (BGH aaO 104). Viel allgemeiner regelt § 276 I 1 das Risiko aus der Übernahme einer Garantie- oder Beschaffungspflicht (vgl Canaris FS Wiegand [05], 179 ff). Ähnl werden auch dem Geldschuldner die Risiken bei der Beschaffung zugeteilt (dazu Medicus AcP 188, 489 ff).
Rn 17
Danach kann ein Risiko von einer Vertragspartei auch bloß mit Einschränkung auf bestimmte Gründe oder Beträge übernommen werden. Dann kommt eine Störung der Geschäftsgrundlage nur aus anderen Gründen oder bei Überschreiten der Grenze in Betracht. So entscheidet BGHZ 129, 236, 253 f bei der Vereinbarung einer festen Lizenzgebühr für den Vertrieb von Waren in den früheren Ostblockstaaten: Hier soll der Lizenznehmer nicht auch das Risiko tragen, dass dieser Markt durch politische Umwälzungen völlig wegbricht. Auch sonst schließt die in Festpreisvereinbarungen geschaffene Risikoverteilung die Berücksichtigung einer unbedachten Störung nicht allemal aus, vgl etwa BGH LM § 242 (Bb) BGB Nr 61 sowie BGHZ 179, 213; BGH NJW-RR 11, 886 (jeweils zu vertraglichen Regelungen wie § 2 III VOB/B). Ist den Parteien aber bewusst, dass sich die als maßgeblich erachteten Umstände ändern können, so ist eine Vertragsanpassung nach I ausgeschlossen (BGH NJW 10, 527, 530 [BGH 10.09.2009 - VII ZR 255/08]: Entwicklung des Stahlpreises).