Prof. Dr. Michael Stürner
I. Dauerschuldverhältnisse.
Rn 4
Der Begriff Dauerschuldverhältnis stammt aus der Rechtslehre und ist gesetzlich erstmals in den §§ 10 Nr 3, 11 Nr 1 und 12 AGBG aufgenommen worden. Charakteristisch für ein Dauerschuldverhältnis ist: Während seiner Laufzeit entstehen für die Parteien fortlaufend neue Leistungs- und Schutzpflichten; der Gesamtumfang der zu erbringenden Leistung ist also zunächst unbestimmt und hängt von der zeitlichen Dauer ab. Hierzu können insb Miete, Pacht, Leihe, Verwahrung, Gesellschaft (Fleischer/Trinks NZG 15, 289), Versicherungsvertrag, Schiedsvertrag (BGHZ 51, 79, 82), Inhaberschuldverschreibungen (BGH ZIP 16, 1279) gehören, bei unbestimmter Laufzeit auch Dienstvertrag (BGHZ 106, 341, 343), zudem Darlehen (vgl BGH NJW 01, 1136, 1137) und Bürgschaften auf unbestimmte Zeit (BGH NJW 86, 2308, 2309 [BGH 22.05.1986 - IX ZR 108/85]). Weiter kommen auch untypische Verträge als Dauerschuldverhältnisse in Betracht, insb Bierbezugsverträge (BGH LM Nr 10 und Nr 23 zu § 242), Factoring (BGH NJW 80, 44 [BGH 30.11.1978 - II ZR 66/78]), Franchising (BGH NJW 99, 1177 [BGH 17.12.1998 - I ZR 106/96]), Leasing (BGH NJW-RR 98, 123 [BGH 30.07.1997 - VIII ZR 157/96]), Lizenzverträge (BGH NJW-RR 97, 1467 [BGH 29.04.1997 - X ZR 127/95]), Unterrichtsverträge (BGH NJW 85, 2585 [BGH 28.02.1985 - IX ZR 92/84]), Wartungsverträge (zum Facility-Management-Vertrag Najork NJW 06, 2881, 2883), Pflegeverträge (Karlsr NJW-RR 97, 708, 709f), Fitnessstudioverträge (BGH WM 16, 1360 Rz 11; NJW 12, 1431 Rz 27) oder Unterlassungsverträge (BGH NJW 10, 1874 mwN), nicht hingegen der Nießbrauch (BGH NJW 22, 2394).
Rn 5
Ein Vertrag wird aber nicht allein dadurch zu einem Dauerschuldverhältnis, dass er über eine längere Zeit läuft. Das gilt insb für Raten- und Teillieferungsverträge, weil hier der Leistungsumfang von vornherein feststeht, auch bei sukzessiver Lieferung (vgl BGHZ 81, 90, 91 für einen Strombezugsvertrag als Sonderkundenvertrag). Anders ist es dagegen bei einem Dauerlieferungsvertrag, nach dem ein im Umfang noch unbestimmter Bedarf gedeckt werden soll: Hier hängen der Bedarf und damit auch der Leistungsumfang von der Zeitdauer ab. Hierunter fallen insb die Verträge über die Lieferung von Gas, Wasser, Elektrizität, Fernwärme oder elektronische Leistungen (Telefon usw). Näher zu solchen ›Bezugsverträgen‹ Limbach Der Leistungsabruf im Bezugsvertrag 14.
Rn 6
Die eben genannten Bezugsverträge sind früher als Wiederkehrschuldverhältnisse bezeichnet worden. Dieser mit Rücksicht auf den alten § 17 KO gebildete Begriff ist aber aufzugeben (daran festhaltend indessen MüKo/Gaier Rz 15): Die mit ihm verbundene Vorstellung, mit jeder Inanspruchnahme werde ein neues Schuldverhältnis begründet, ist lebensfremd. Zudem lässt sie unberücksichtigt, dass schon die ständige Lieferungsbereitschaft des einen Teils eine Leistung darstellt.
II. Wichtiger Grund zu Kündigung.
1. Ausgangspunkt.
Rn 7
Die Kündigung nach § 314 beruht nicht auf einer Vereinbarung, sondern auf Gesetz. Sie stellt daher eine außerordentliche Kündigung dar, so dass sie eines Grundes bedarf, den I als ›wichtiger Grund‹ umschreibt: Dem kündigenden Teil muss die Fortsetzung des Vertrags bis zum Ablauf der vereinbarten Zeit oder der Frist für eine ordentliche Kündigung ›unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen‹ unzumutbar sein. Das ähnelt der Beschreibung in § 626 I (s.a. BGH JZ 11, 527; BGHZ 196, 285 Rz 15). Ähnlichkeit besteht auch zu § 313 I, wenn man zu den ›Umständen‹ in § 314 I auch die Besonderheiten des jeweiligen Vertragstyps rechnet (s BTDrs 14/6040, 178). Die Befreiung von der Zahlungspflicht beim Fitnessstudiovertrag während der pandemiebedingten Schließungen lässt die Unzumutbarkeit für eine Fortsetzung des Vertrags entfallen (BGH WM 23, 1803 Rz 16).
Rn 8
Ein Vertretenmüssen des Kündigungsgegners ist nicht erforderlich (BGH NJW 86, 3134, 3135). Andererseits stellt aber Verschulden einen Umstand dar, der bei der Interessenabwägung bedeutsam sein kann; das gilt für beide Vertragsteile (BGHZ 44, 271, 275). Umstände, die in den Risikobereich allein einer Partei fallen, müssen außer Betracht bleiben (vgl BGHZ 136, 161, 164 für die weitere Verwendbarkeit eines Darlehens; BGH JZ 11, 527 für Umzug an einen Ort, an dem kein DSL-Anschluss gelegt werden kann oder BGH NJW 17, 1378 Rz 92 für Bausparvertrag). Gleiches gilt für Umstände, deren Rechtsfolge besonders (etwa iSe Sicherheitsleistung) geregelt ist (BGHZ 150, 365, 369 ff).
2. Pflichtverletzungen.
Rn 9
Insb Pflichtverletzungen können einen wichtigen Grund darstellen. Das setzt § 314 II voraus: Dann sollen nach II 1 eine erfolglose Fristsetzung oder eine erfolglose Abmahnung Voraussetzung für die Kündigung sein. Die in II 2 bestimmte entspr Anwendung von § 323 II bedeutet, dass in den dort genannten Fallgruppen Fristsetzung oder Abmahnung unnötig (weil nicht erfolgversprechend oder zumutbar) sind.
Rn 10
Überhaupt werden Pflichtverletzungen, die nach § 323 zum Rücktritt berechtigen, bei Dauerschuldverhältnissen regelmäßig einen Kündigungsgrund bilden (s dazu Bonitz/...