Prof. Dr. Michael Stürner
1. Leistungsverweigerung, II Nr 1.
Rn 29
Dem Schuldner, der die vertragsgemäße Leistung ernsthaft und endgültig verweigert, braucht keine Frist gesetzt zu werden, da er sie doch nicht einhalten würde. Das ist die Erfüllungsverweigerung (vgl §§ 281 II Alt 1, 286 II Nr 3) oder bei § 323 Vertragsaufsage. Sie ist vor dem SchRModG als (gesetzlich nicht geregelte) positive Vertragsverletzung aufgefasst worden, steht jetzt aber sachgerecht in konkreteren Zusammenhängen. Auch der Gläubiger braucht bei II Nr 1 nicht mehr zur Erfüllung mitzuwirken (BGH NJW-RR 90, 444). Auf ein Vertretenmüssen des Schuldners kommt es nicht an (MüKo/Ernst Rz 111).
Rn 30
Wegen der weitreichenden Rechtsfolgen sind bei II Nr 1 strenge Anforderungen zu stellen: Der Schuldner muss eindeutig zum Ausdruck bringen, er werde seinen Vertragspflichten nicht nachkommen (BGHZ 104, 6, 13; BGH NJW-RR 09, 667; ZIP 11, 1571, 1573); es muss sich gewissermaßen um das letzte Wort des Schuldners handeln (Grüneberg/Grüneberg Rz 18). Allein die Erklärung des Schuldners, er werde zum Fälligkeitszeitpunkt nicht leisten können, reicht nicht aus (BGH ZIP 12, 1463); auch kann in dem bloßen Bestreiten von Mängeln noch nicht ohne Weiteres eine endgültige Nacherfüllungsverweigerung gesehen werden (BGH NJW 15, 3455 [BGH 01.07.2015 - VIII ZR 226/14] Rz 33; NJW 17, 1666 [BGH 18.01.2017 - VIII ZR 234/15] Rz 33; Köln MDR 18, 930).
2. Fixgeschäft, II Nr 2.
Rn 31
Nach § 361 aF sollte der Gläubiger ohne weiteres zum Rücktritt berechtigt sein, wenn die Leistung ›genau zu einer fest bestimmten Zeit oder innerhalb einer fest bestimmten Frist‹ bewirkt werden sollte. Dieses ›Fixgeschäft‹ kehrt jetzt mit etwas anderer Formulierung in II Nr 2 wieder (dazu Dubovitskaya AcP 215, 581). Danach muss die Leistung nicht bloß frist- oder termingebunden sein. Vielmehr muss zusätzlich der Gläubiger den Fortbestand seines Leistungsinteresses an die Rechtzeitigkeit der Leistung gebunden haben, so dass das Geschäft mit der zeitgerechten Leistung ›stehen und fallen‹ soll, wobei sich jeder Zweifel gegen die Annahme eines Fixgeschäfts auswirkt (BGHZ 110, 88, 96 zu § 361 aF). Ausgedrückt wird die Wichtigkeit pünktlicher Leistung oft durch Klauseln wie fix, präzise, genau, prompt (Bsp Celle 18.11.21, 11 U 66/21 – juris Rz 27). Schwarze AcP 207, 438, 454 will genügen lassen, dass die Pflichtverletzung den Fortfall des Erfüllungsinteresses ›überwiegend wahrscheinlich‹ gemacht hat (zweifelhaft).
Rn 32
Von diesem ›relativen‹ Fixgeschäft zu unterscheiden ist das sog ›absolute‹: Dort führt die Nichteinhaltung des Termins oder der Frist zur Unmöglichkeit (§ 275 I). Bsp sind Leistungen in einem Team (zB das Spiel eines Flötisten in einem Orchester), die Bestellung eines Taxis zu einem bestimmten Flug, uU auch die Lieferung von Saisonware, die später unverkäuflich ist (Weihnachtsmänner, Osterhasen). Fallgruppenbildung bei Dubovitskaya AcP 215, 581, 598 ff.; speziell zur Arbeitsschuld Latzel AcP 221, 881.
Rn 33
II Nr 2 wurde durch das VRRL-UG (dazu Vor §§ 312 ff Rn 4) mWv 13.6.14 geändert. Damit soll Art 18 II UAbs 2 VRRL umgesetzt werden, der freilich auf Verbraucherkaufverträge beschränkt ist. Grundlegende inhaltliche Änderungen sind damit nicht beabsichtigt; im Wesentlichen handelt es sich um Anpassungen an die Terminologie der VRRL (BTDrs 17/12637, 58). Das neu eingeführte Kriterium der Wesentlichkeit ist jedenfalls dann erfüllt, wenn das Geschäft mit der Einhaltung des Termins stehen und fallen soll (Rn 31). Es kann sich einerseits aus einer ausdrücklichen Mitteilung des Gläubigers (Fall 1) oder aber aus den Umständen (Fall 2) ergeben. Ein Richtlinienverstoß liegt indessen darin, dass II Nr 2 nur die Fälle erfasst, in denen die Leistung zu spät erfolgt; nach Art 18 II UAbs 2 aE VRRL (›an einem bestimmten Tag wesentlich‹) berechtigt auch die zu früh erbrachte Leistung ggf zum Rücktritt ohne Fristsetzung; die Norm ist für Verbraucherkaufverträge richtlinienkonform erweiternd auszulegen (Riehm NJW 14, 2065, 2066).
3. Besondere Umstände, II Nr 3.
Rn 34
Anschließend an die konkreteren Tatbestände der Erfüllungsverweigerung und des Fixgeschäfts bringt II Nr 3 noch eine Generalklausel, gekennzeichnet durch eine Abwägung der beiderseitigen Interessen (ähnl §§ 281 II Alt 2, 286 II Nr 4). Als Anwendungsbsp wird in der Begründung das Just-in-time-Geschäft genannt (BTDrs 14/6040, 140). Doch ist dies wohl eher bei Nr 2 unterzubringen. In der Lit dominiert meist der Hinweis auf einen Interesseverlust des Gläubigers wegen einer Leistungsverzögerung (früher § 326 II aF), etwa MüKo/Ernst Rz 129 f. Doch ist insoweit die Grenze zum absoluten Fixgeschäft (Rn 32) undeutlich.
Rn 35
Es ist nämlich auch an Fälle zu denken, in denen es gar nicht um einen Interesseverlust des Gläubigers geht, sondern um sein Interesse an einer besonders schnellen Leistung. Wenn etwa ein Klempner zu einem Wasserrohrbruch gerufen wird, verliert auch seine verspätete Leistung ihren Nutzen nicht notwendig. Aber wenn die Leistung auch ohne Verschulden erst später möglich ist, muss der Überschwemmte von dem Fristsetzungserfordernis befreit sein, we...