Prof. Dr. Michael Stürner
1. Teilleistungen, V 1.
Rn 39
Wenn der Schuldner nur eine Teilleistung (dazu Canaris FS Medicus [09], 17) bewirkt, richtet sich der Rücktritt wegen des nicht geleisteten Restes nach § 323 I–III. Demgegenüber behandelt V 1 die Frage, ob der Gläubiger vom ganzen Vertrag (also auch von dem schon durch die Teilleistung erfüllten Teil) zurücktreten kann. Diese Problematik wird für den Schadensersatz statt der Leistung in § 281 I 2 geregelt. Ebenso wie dort lässt auch V 1 das Interesse des Gläubigers an der Teilleistung entscheiden: Fehlt dieses, so ist ein Totalrücktritt möglich, andernfalls nur ein Teilrücktritt (vgl die partial avoidance von Art 51 CISG).
Rn 40
Bei einem Teilrücktritt ist der Leistungsteil, den der Gläubiger behält, anteilsmäßig zu vergüten. Ist die Gegenleistung nicht teilbar, gilt Gleiches wie bei einer unteilbaren Leistung, nämlich das Recht zum Totalrücktritt (BGH NJW 00, 1332, 1333 [BGH 14.01.2000 - V ZR 386/98] für die Zustimmung zur Löschung einer Auflassungsvormerkung; NJW 10, 346; s.a. Förster/Herrler NJW 10, 2090: V 1 greift nicht, wenn der Grundstückskäufer die Grunderwerbssteuer nicht zahlt). Übrigens kann der Gläubiger idR auch dadurch zu einem Totalrücktritt kommen, dass er die ihm angebotene Teilleistung nach § 266 zurückweist.
Rn 41
Dabei behandelt V 1 (im Gegensatz zu V 2) nur die quantitative Teilleistung. Die Schlechtleistung, also ein qualitativer Mangel, wird in § 323 nicht als Teilleistung angesehen (Celle ZGS 04, 74; MüKo/Ernst Rz 203; Grüneberg/Grüneberg Rz 24). Andererseits gilt als Teilleistung auch, wenn von mehreren Pflichten aus einem Vertrag nicht alle erfüllt werden, zB bei einem Grundstückskauf nur die Pflicht zur Übereignung, nicht aber auch diejenige zur Übergabe (MüKo/Ernst Rz 232 ff).
Rn 42
Streitig ist beim Kauf die Abgrenzung zu § 434 III. Dort wird eine Mankolieferung einem Sachmangel gleichgestellt, also einem Qualitätsmangel, der unter § 323 V 2 fiele (MüKo/Ernst Rz 219 mit Streitstand). Vorzugswürdig ist die von Ernst aaO Rz 220 angegebene Lösung: § 434 III meint nur den Fall, dass die zu geringe Menge als volle Leistung geliefert wird. Dagegen ist die Vorschrift unanwendbar, wenn die Parteien bei der Lieferung darüber einig sind, dass diese nur einen Teil des Geschuldeten darstellt.
2. Unerheblicher qualitativer Mangel, V 2.
Rn 43
Bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung (was im Gegensatz zu V 1 einen Qualitätsmangel meint) soll der Gläubiger wegen einer unerheblichen Pflichtverletzung nicht zurücktreten können, V 2. Das findet für den Schadensersatz statt der Leistung eine Parallele in § 281 I 3. Beides steht im Gegensatz zu § 459 I 2 aF, wonach eine unerhebliche Minderung des Wertes oder der Tauglichkeit nicht als Mangel in Betracht kam, also dem Gläubiger keinerlei Rechte gewährte. Demgegenüber ist die neue Regelung vorzugswürdig: Es ist sachlich gerechtfertigt, die besonders scharfen Sanktionen Rücktritt und Totalschadensersatz statt der Leistung an strengere Voraussetzungen zu binden als etwa die Minderung oder den Nacherfüllungsanspruch.
Rn 44
Für die Frage nach der Unerheblichkeit dürfen wegen der geänderten Bedeutung die strengen Maßstäbe von § 459 I 2 aF nicht übernommen werden. Eher dürften die bei § 281 I 3 verwendeten Kriterien passen (vgl § 281 Rn 32; für Bsp auch Grüneberg/Grüneberg Rz 32). Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung auf Grundlage der Umstände des Einzelfalls (BGH ZIP 20, 419 Rz 46). Nach der Rspr des BGH ist die Geringfügigkeitsschwelle bei einem behebbaren Sachmangel bereits dann als erreicht anzusehen, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand einen Betrag von fünf Prozent des Kaufpreises überschreitet (BGHZ 201, 290 Rz 12, 30; BGH NJW 17, 153 Rz 28; s.a. Celle MDR 18, 273). Ein zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung aufgrund unklarer Mangelursache und mehrerer vorausgegangener Reparaturversuche erheblicher Mangel wird nicht zu einem geringfügigen, wenn sich später herausstellt, dass der Mangel mit relativ geringfügigem Aufwand behoben werden kann (BGH NJW 11, 3708; zur Erheblichkeit bei behebbarem Mangel auch BGH NJW 11, 2872; BGHZ 201, 290; ZIP 16, 624). Der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung soll bereits die Erheblichkeit der Pflichtverletzung indizieren (BGH NJW 13, 1365 [BGH 06.02.2013 - VIII ZR 374/11]). In den Diesel-Fällen greift V 2 regelmäßig nicht (BGH MDR 23, 166; so bereits Karlsr 17.8.21 – 17 U 325/19 Rz 34 ff mN zur obergerichtlichen Rspr). Auch die Eintragung eines PKW in das SIS ist erheblicher Mangel (BGH NJW 17, 1666 [BGH 18.01.2017 - VIII ZR 234/15] Rz 22; NJW 17, 3292 Rz 10). Zur Beurteilung der Unerheblichkeit ist auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abzustellen (BGH NJW 11, 3708; BGHZ 201, 290 Rz 16; NJW 17, 153 Rz 29; DAR 18, 78 Rz 14). Ein Sachmangel an einem PKW ist idR erheblich, wenn er sich auf die Betriebserlaubnis auswirkt (BGHZ 224, 195 Rz 51 ff).
Rn 45
Bei arglistigem Verhalten des Schuldners soll nach BGHZ 167, 19, 23 idR Erheblichkeit vorliegen (zum vergleichbaren Fall bei II Nr 3 Rn 36). Daran ist problematisch, dass nach der Ansicht des ...