Prof. Dr. Michael Stürner
I. Anwendungsbereich.
Rn 3
§ 326 I 1 erfasst die Fälle der Nichtleistung und (quantitativen) Teil-Nichtleistung durch den Schuldner wegen Unmöglichkeit. Dagegen enthält I 2 eine Ausnahme für die Unmöglichkeit der Nacherfüllung bei einer nicht vertragsgemäßen Leistung; hier ergibt sich die Rechtsfolge aus V. Zahlreiche Sondervorschriften gehen I vor (§§ 536, 615, 616, 645 I, 651c ff, 651j) oder enthalten Modifikationen (§§ 446, 447, 644, 646).
Rn 4
Die Unmöglichkeit der Leistung regelt sich nach § 275. Dass der Schuldner nicht zu leisten braucht, ergibt sich bei § 275 I von selbst; bei § 275 II und III tritt diese Folge erst ein, wenn der Schuldner sie einredeweise geltend macht (vgl dazu § 275 Rn 29; eingehend zur Rechtsnatur nun Freitag NJW 14, 113: Gestaltungsrecht).
Rn 5
§ 326 I 1 unterscheidet für das Freiwerden des Gläubigers von der Pflicht zur Gegenleistung ebenso wie § 275 nicht nach der Art der Unmöglichkeit: Er umfasst die objektive und die subjektive, die ursprüngliche und die nachträgliche, die zu vertretende und die nicht zu vertretende Unmöglichkeit.
Rn 6
Das Fehlen einer Sonderregelung für die vom Schuldner zu vertretende Unmöglichkeit wird von manchen (repräsentativ MüKo/Ernst Rz 14 ff) als sachlich verfehlt und daher korrekturbedürftig aufgefasst. Das führt aber zu komplizierten Unterscheidungen (etwa Ernst aaO Rz 28 f, 32, 98 ff) und zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen Entscheidung des Gläubigers (Ernst aaO Rz 15). Das Vertretenmüssen hat nach dem Gesetz bei § 275 nur in II 2 Bedeutung, dagegen nicht bei §§ 323, 326. Vom Vertretenmüssen abhängige Rechtsfolgen sind daher beim Schadensersatz und nicht beim Rücktritt unterzubringen (vgl u. Rn 9).
II. Rechtsfolge.
1. Vollunmöglichkeit.
Rn 7
§ 326 I 1 Hs 1 lässt, wenn der Schuldner wegen der Unmöglichkeit nicht leistet, dessen Anspruch auf die Gegenleistung ohne weiteres entfallen (wenn nicht III wegen § 285 Abweichendes anordnet). Nach Spezialvorschriften gelten aber Ausnahmen, wenn der Gläubiger beim Eintritt der Unmöglichkeit bereits die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) trägt. Das meint die Gefahr, die Gegenleistung auch dann erbringen zu müssen, wenn kein Anspruch auf die Leistung besteht. Die wichtigsten Vorschriften hierfür sind die §§ 326 II 1 Alt 2 (Annahmeverzug des Gläubigers, vgl u. Rn 16), 446, 447 (Kauf), 640, 644, 645 (Werkvertrag), 2380 (Erbschaftskauf) und § 56 1 ZVG (Grundstückserwerb in der Zwangsversteigerung), außerdem beim Dienst- und Arbeitsvertrag. Der Zahlungsanspruch des Leasinggebers gegen den Leasingnehmer erlischt nicht nach § 326 I, wenn der Leasingvertrag aufgrund des Zahlungsverzugs gekündigt und das Fahrzeug zuvor schon verwertet wurde (BGH VRS 20, 122).
Rn 8
Wenn die nach I 1 nicht geschuldete Gegenleistung schon erbracht worden ist, soll sie gem IV nach den §§ 346 bis 348 zurückverlangt werden können. Diese Rechtsfolgenverweisung war notwendig, weil der Wegfall der Pflicht zur Gegenleistung nicht auf einem Rücktritt beruht, sondern kraft Gesetzes eintritt (zur Entgeltlichkeit der Leistung iSd § 134 InsO BGH WM 23, 527).
Rn 8a
Eine Ausnahme hiervon bestand nach Maßgabe des mWv 1.10.22 aufgehobenen Art 240 § 5 EGBGB aF für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen für die Zeit der COVID-19-Pandemie (›Gutscheinlösung‹; zur Vereinbarkeit mit Art 14 GG BVerfG NJW 24, 492 Rz 44f). Diese Vorschrift wurde mWv 20.5.20 durch das ›Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE)‹ (BGBl I 948) eingefügt. Sie soll die für den Freizeitsektor gravierenden Folgen der Pandemie abmildern und massenhafte Insolvenzen vermeiden, indem sie statt des aus §§ 275 I, IV, 326 I 1, 4, 346 I gegen den jeweiligen Veranstalter folgenden Anspruchs auf Rückgewähr des Eintrittspreises bzw Entgelts die Übergabe eines entsprechenden Gutscheins ermöglichen (näher Weller/Schwemmer NJW 20, 2985); s für Fitnessstudiovertrag BGHZ 233, 266. Doch kann der Inhaber des Gutscheins die Auszahlung dessen Wertes verlangen, wenn die Annahme eines Gutscheins für ihn aufgrund seiner persönlichen Lebensverhältnisse unzumutbar ist; Gleiches gilt für die Zeit nach dem 31.12.21.
Rn 9
Die oben (Rn 6) geschilderte Ansicht will die Fälle berücksichtigen, in denen dem Gläubiger daran gelegen ist, die von ihm geschuldete Gegenleistung wirklich zu erbringen, also sie loszuwerden. Soweit der Gläubiger ein Rücktrittsrecht hat, kann er dieses Ziel durch Nichterklärung des Rücktritts erreichen; dass er dann die Gegenleistung erbringen muss, ist bei Vertretenmüssen des Schuldners durch die Schadensberechnung nach der Surrogationsmethode auszugleichen. Dies muss auch bei I 1 gelten (ebenso Grüneberg/Grüneberg Rz 2a).
2. Teilunmöglichkeit.
Rn 10
Bei einer Teilleistung (wegen einer Teilunmöglichkeit, dazu Canaris FS Medicus [09], 17) soll nach I 1 Hs 2 § 441 III entspr gelten (dazu BGH NJW 10, 1282 [BGH 14.01.2010 - VII ZR 106/08]; NJW 07, 3488 [BGH 17.07.2007 - X ZR 31/06]). Die Gegenleistung ist also in dem Verhältnis herabzusetze...