Prof. Dr. Michael Stürner
1. Vollunmöglichkeit.
Rn 7
§ 326 I 1 Hs 1 lässt, wenn der Schuldner wegen der Unmöglichkeit nicht leistet, dessen Anspruch auf die Gegenleistung ohne weiteres entfallen (wenn nicht III wegen § 285 Abweichendes anordnet). Nach Spezialvorschriften gelten aber Ausnahmen, wenn der Gläubiger beim Eintritt der Unmöglichkeit bereits die Gegenleistungsgefahr (Preisgefahr) trägt. Das meint die Gefahr, die Gegenleistung auch dann erbringen zu müssen, wenn kein Anspruch auf die Leistung besteht. Die wichtigsten Vorschriften hierfür sind die §§ 326 II 1 Alt 2 (Annahmeverzug des Gläubigers, vgl u. Rn 16), 446, 447 (Kauf), 640, 644, 645 (Werkvertrag), 2380 (Erbschaftskauf) und § 56 1 ZVG (Grundstückserwerb in der Zwangsversteigerung), außerdem beim Dienst- und Arbeitsvertrag. Der Zahlungsanspruch des Leasinggebers gegen den Leasingnehmer erlischt nicht nach § 326 I, wenn der Leasingvertrag aufgrund des Zahlungsverzugs gekündigt und das Fahrzeug zuvor schon verwertet wurde (BGH VRS 20, 122).
Rn 8
Wenn die nach I 1 nicht geschuldete Gegenleistung schon erbracht worden ist, soll sie gem IV nach den §§ 346 bis 348 zurückverlangt werden können. Diese Rechtsfolgenverweisung war notwendig, weil der Wegfall der Pflicht zur Gegenleistung nicht auf einem Rücktritt beruht, sondern kraft Gesetzes eintritt (zur Entgeltlichkeit der Leistung iSd § 134 InsO BGH WM 23, 527).
Rn 8a
Eine Ausnahme hiervon bestand nach Maßgabe des mWv 1.10.22 aufgehobenen Art 240 § 5 EGBGB aF für Freizeitveranstaltungen und Freizeiteinrichtungen für die Zeit der COVID-19-Pandemie (›Gutscheinlösung‹; zur Vereinbarkeit mit Art 14 GG BVerfG NJW 24, 492 Rz 44f). Diese Vorschrift wurde mWv 20.5.20 durch das ›Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht und im Recht der Europäischen Gesellschaft (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE)‹ (BGBl I 948) eingefügt. Sie soll die für den Freizeitsektor gravierenden Folgen der Pandemie abmildern und massenhafte Insolvenzen vermeiden, indem sie statt des aus §§ 275 I, IV, 326 I 1, 4, 346 I gegen den jeweiligen Veranstalter folgenden Anspruchs auf Rückgewähr des Eintrittspreises bzw Entgelts die Übergabe eines entsprechenden Gutscheins ermöglichen (näher Weller/Schwemmer NJW 20, 2985); s für Fitnessstudiovertrag BGHZ 233, 266. Doch kann der Inhaber des Gutscheins die Auszahlung dessen Wertes verlangen, wenn die Annahme eines Gutscheins für ihn aufgrund seiner persönlichen Lebensverhältnisse unzumutbar ist; Gleiches gilt für die Zeit nach dem 31.12.21.
Rn 9
Die oben (Rn 6) geschilderte Ansicht will die Fälle berücksichtigen, in denen dem Gläubiger daran gelegen ist, die von ihm geschuldete Gegenleistung wirklich zu erbringen, also sie loszuwerden. Soweit der Gläubiger ein Rücktrittsrecht hat, kann er dieses Ziel durch Nichterklärung des Rücktritts erreichen; dass er dann die Gegenleistung erbringen muss, ist bei Vertretenmüssen des Schuldners durch die Schadensberechnung nach der Surrogationsmethode auszugleichen. Dies muss auch bei I 1 gelten (ebenso Grüneberg/Grüneberg Rz 2a).
2. Teilunmöglichkeit.
Rn 10
Bei einer Teilleistung (wegen einer Teilunmöglichkeit, dazu Canaris FS Medicus [09], 17) soll nach I 1 Hs 2 § 441 III entspr gelten (dazu BGH NJW 10, 1282 [BGH 14.01.2010 - VII ZR 106/08]; NJW 07, 3488 [BGH 17.07.2007 - X ZR 31/06]). Die Gegenleistung ist also in dem Verhältnis herabzusetzen, in dem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der ganzen Leistung zur vereinbarten Gegenleistung gestanden haben würde. Bsp: Wert der ganzen Leistung 120, vereinbarte Gegenleistung 90; es wird nur die Hälfte geliefert. Dann beträgt die Gegenleistung 45; das dem Gläubiger günstige Wertverhältnis bleibt also zu dem Teil erhalten, zu dem das Geschäft ausgeführt wird; iÜ beim Schadensersatz statt der Leistung.
Rn 11
Das bisher Gesagte lässt aber unberücksichtigt, dass dem Gläubiger an dem möglichen Teil der Leistung nicht gelegen zu sein braucht, weil er die Leistung nur als Ganzes verwenden will. Nach § 323 V 1 besteht in solchen Fällen bei der Teil-Nichtleistung ein Recht zum Totalrücktritt. Das kann man bei § 326 I 1 Hs 2 entspr anwenden (so MüKo/Ernst Rz 26). Im Ergebnis gleicht dem die Annahme zu § 275, bei einem Gläubigerinteresse nur an der ganzen Leistung liege eine unteilbare Leistung mit der Folge vor, dass die Unmöglichkeit eines Teils eine Vollunmöglichkeit bedeute. Eine analoge Anwendung von § 326 I bei der vorübergehenden Unmöglichkeit wegen der Regelung des mWv 1.10.22 aufgehobenen Art 240 § 1 EGBGB aF ist nicht geboten, anderenfalls würde der Zweck dieses COVID-19-bedingten Moratoriums verfehlt, dem von der COVID-19-Pandemie betroffenen Verbraucher bzw Kleinstunternehmen ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht zu gewähren (Schmidt-Kessel/Möllnitz NJW 20, 1103, 1105).
3. Fortdauer der Pflicht zur Gegenleistung.
Rn 12
In Abweichung von I 1 lässt II unter bestimmten Umständen den Anspruch des Schuldners der unmöglichen Leistung auf die Gegenleistung bestehen bleiben, so dass also der Gläubiger die Gegenleistungsgefahr tragen soll (vgl o Rn 7). Das entspricht wei...