Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 6
Der Anspruch des Verbrauchers aus I 1 ist ausgeschlossen, wenn die Herstellung des vertragsmäßigen Zustands unmöglich oder absolut unverhältnismäßig wäre. Bei dem erwähnten Anspruchsausschluss wegen Unmöglichkeit handelt es sich angesichts der Regelung in § 275 I aus schuldrechtlicher Sicht lediglich um eine Klarstellung (›ultra posse nemo obligatur‹). § 275 II, III findet gem II 3 keine Anwendung.
Rn 7
Mangels Wahlrechts des Verbrauchers kann sich die Unverhältnismäßigkeit anders als im Kaufrecht nicht relativ in Bezug auf die andere Art der Nacherfüllung, sondern nur absolut aus einer Gesamtbetrachtung aller Möglichkeiten ergeben (BTDrs 19/27653, 67). Unter Rückgriff auf die Rspr zum Kaufrecht ist absolute Unverhältnismäßigkeit im Regelfall anzunehmen, wenn die Nacherfüllungskosten 150 % des Werts des digitalen Produkts im mangelfreien Zustand oder 200 % des mangelbedingten Minderwerts übersteigen (BGH NJW 09, 1660, 1661; BTDrs 19/27653, 67); diese Richtwerte entheben jedoch nicht einer Einzelfallbetrachtung. Nach II 2 ist neben dem mangelfreien Wert des digitalen Produkts auch die Bedeutung des Mangels zu berücksichtigen. Zudem sind etwaige Synergieeffekte zu beachten, welche etwa dadurch entstehen können, dass der Unternehmer anlässlich einer Mangelbeseitigung eine Verbesserung vornimmt, die er für eine Vielzahl ebenso betroffener Verbraucher weiterverwenden kann (BTDrs 19/27653, 67).
Rn 8
Die Unverhältnismäßigkeit wird in II 1 im Unterschied zu § 439 IV 1, 3 nicht als Leistungsverweigerungsrecht, sondern als rechtsvernichtende Einwendung (›ist ausgeschlossen‹) formuliert. Die Gesetzesbegründung verweist für diese Einordnung auf den Wortlaut in Art 13 III WKRL, welcher im Unterschied zu Art 14 II DIRL ausdr die Möglichkeit der Leistungsverweigerung des Unternehmers vorsieht (BTDrs 19/27653, 67). Indes sah auch Art 3 III UAbs 1 VGKRL vor, dass der Verbraucher die Nacherfüllung nur verlangen kann, ›sofern dies nicht unverhältnismäßig ist‹. Die Umsetzung in § 439 III 1 aF (§ 439 IV 1 nF) knüpfte den Eintritt des Anspruchsuntergangs dennoch an die Verweigerung des Unternehmers (BTDrs 14/6040, 232). Allerdings ist der Wortlaut in Art 14 II DIRL zutreffend mit der zeitlich deutlich enger verwandten WKRL zu vergleichen.
Rn 9
Die Formulierung zu Beginn des ErwGr 65 DIRL könnte man so verstehen, dass die Unverhältnismäßigkeit der Nacherfüllung nur bei einer entspr Erklärung des Unternehmers zum Anspruchsuntergang führen soll. Allerdings kommt den ErwGr bei der Auslegung nur eine nachrangige Rolle zu; maßgeblich sind in erster Linie Wortlaut und Zweck der Vorschrift selbst (zum Ganzen Stürner, Europäisches Vertragsrecht 21, § 8 Rz 21 ff). Art 14 II DIRL wiederum sieht aus Gründen der Rechtsklarheit den Anspruchsausschluss kraft Gesetzes im Falle der Unverhältnismäßigkeit vor (Gsell in Schulze/Staudenmayer, EU Digital Law 20, Art 14 DCD Rz 42). Die Ausgestaltung der Unverhältnismäßigkeit in II 1 Alt 2 als rechtsvernichtende Einwendung ist daher richtlinienkonform.