Prof. Dr. Michael Stürner
I. Erlöschen nicht erfüllter Pflichten.
Rn 2
Die nächstliegende Wirkung des Rücktritts wird als selbstverständlich in § 346 nicht eigens ausgesprochen: Die noch nicht erfüllten Primärleistungspflichten erlöschen, so dass Erfüllung nicht mehr verlangt werden kann. Schon entstandene Sekundäransprüche (zB auf Ersatz von Begleit- oder Verzugsschäden, differenzierend aber Herresthal JuS 07, 798 ff) bleiben dagegen idR bestehen. Für gegenseitige Verträge stellt § 325 jetzt zudem klar, dass nach dem Rücktritt auch noch Schadenersatz statt der Leistung verlangt werden kann (zur Abwicklung vgl § 325).
II. Rückgewähr der schon erbrachten Leistungen, § 346 I.
1. Rückgewähr.
Rn 3
Der Rücktritt verändert nur den Schuldvertrag und hat keine dingliche Wirkung hinsichtlich der schon erbrachten Leistungen (zum Fall des gesetzlichen Eigentumserwerbs Jaeger AcP 215, 533). Wenn die Leistung in einer Übereignung bestanden hat, ist also neben der Rückgabe eine Rückübereignung nötig; für gezahltes Geld ist eine gleiche Summe zurückzuzahlen. BGHZ 87, 104, 109 f bejaht für die alte Wandelung beim Kauf sogar eine Verpflichtung des Verkäufers zur Rücknahme des Leistungsgegenstandes. Ein Anspruch auf Rückauflassung besteht auch dann, wenn unklar ist, ob der Schuldner zu Recht oder zu Unrecht eingetragen ist (BGH NJW 09, 3155 [BGH 05.06.2009 - V ZR 168/08]). Der Anspruch auf Rückgewähr enthält keine Pflicht zur Rücknahme, sodass ein Verzicht auf den Rückerhalt keine Schadensersatzpflicht auslöst (Zweibr ZfBR 21, 755 [OLG Zweibrücken 27.05.2021 - 4 U 96/20]). Erfüllungsort für sämtliche Rückgewähransprüche ist der Ort, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts vertragsgemäß befindet (Karlsr MDR 13, 898 für den Fall beiderseitiger Erfüllung unter Bezugnahme auf BGHZ 87, 104, 109), im Regelfall der Wohnsitz des Käufers (diff Wilke AcP 223, 883, 920: kein einheitlicher Erfüllungsort).
Rn 4
Aus dem Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung (dazu allg Vor §§ 312 ff Rn 5) heraus können sich Modifikationen bei der Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen und zur Leistung von Wertersatz ergeben. Zum Nutzungsersatz bei der kaufrechtlichen Nacherfüllung näher § 439 Rn 36; s.a. Keiser NJW 14, 1473. Zur Rückabwicklung von Verträgen über digitale Inhalte Bach NJW 19, 1705.
2. Herausgabe von Nutzungen.
Rn 5
Zugleich hat nach I der Rückgewährschuldner ›die gezogenen Nutzungen (§§ 100, 99) herauszugeben‹ (dazu Martens AcP 210, 689). Diese Herausgabepflicht entspricht § 987 I, freilich ohne Beschränkung auf die nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen. Soweit Nutzungen nicht mehr vorhanden sind, kommt II 1 Nr 2 oder Nr 3 in Betracht. Die Herausgabe von Nutzungen ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (Kobl NJW 12, 3380 [OLG Koblenz 30.07.2012 - 5 U 492/12]). Eine Nutzungsersatzpflicht besteht auch beim Rücktritt vom Verbraucherkaufvertrag (BGH NJW 10, 148 [BGH 16.09.2009 - VIII ZR 243/08]; dazu Höpfner NJW 10, 127; Lieder JURA 10, 612). Zur Rückabwicklung von Kapitalanlagen und Anrechnung von Steuervorteilen München WM 12, 1536. Zum Nutzungsersatz für erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen beim rückabgewickelten Verbraucherdarlehensvertrag BGH ZIP 23, 1635.
III. Wertersatz.
1. Anwendungsbereich.
Rn 6
Statt der Rückgewähr oder Herausgabe kommt nach II 1 Wertersatz in drei Fallgruppen in Betracht (Döll, Rückgewährstörungen beim Rücktritt, 11; Bartels AcP 215, 203): (1.) Die Natur des Erlangten schließt eine Rückgewähr oder Herausgabe aus, Nr 1. Das trifft zB zu für Dienstleistungen, Unterlassungen oder manche Werkleistungen, auch für die bloße Nutzung einer Sache, vgl § 346 2 aF. Krit bei der Rückgewähr von umgestalteten Immobilien Herrler DNotZ 23, 485.
Rn 7
(2.) Der Empfänger hat den Gegenstand verbraucht, veräußert, belastet, verarbeitet oder umgestaltet, Nr 2. Bei Verschulden hatte das früher idR den Rücktritt ausgeschlossen, § 351 aF, nach § 352 aF auch ohne Verschulden. Der neue Text ergibt, dass der Rücktritt möglich bleibt und der Gläubiger mit dem Wertersatz vorlieb nehmen muss (näher Kohler AcP 214, 362); aA wohl Dresd 23.5.23 – 4 U 1465/22 – juris Rz 28.
Rn 8
(3.) Der empfangene Gegenstand hat sich verschlechtert oder ist untergegangen, ohne dass dies durch den Empfänger veranlasst zu sein braucht. Dem stehen gleich andere Gründe für die Unmöglichkeit der Herausgabe, etwa ein Verlust der Sache. Ausgenommen ist lediglich die Verschlechterung, die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme (nicht den späteren Gebrauch) entstanden ist. Diese kann zB bei Kleidung oder Möbeln den Wert erheblich mindern. Der Wertersatz setzt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal voraus, dass es dem Schuldner unmöglich sein muss, den empfangenen Gegenstand in der ursprünglichen Form zurückzugeben (BGHZ 178, 182 Rz 18; BGH 9.2.21, VIII ZR 316/19 Rz 10).
2. Wertberechnung.
Rn 9
Auszugehen ist vom objektiven Marktwert und nicht vom Nutzen der Leistung gerade für den Gläubiger; insoweit bleibt der Wertersatz also ggf unter dem Schadensersatz. Für Modifikationen bei Rückabwicklung nach Widerruf s § 357 Rn 28.
Rn 10
Eine Sonderregelung trifft II 2 Alt 1 für den Fall, dass der durch den Rücktritt beendete Vertrag eine Gegenleistung bestimmt hat (dazu Fest ZGS 09,...